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Zur Sitzung des Kulturausschusses am 23.11.2012

Der Vorwurf, den man Christoph Stölzls Konzept gemacht hatte: es sei „dürftig“ gewesen, muss bei den Verantwortlichen in der Verwaltung „gesessen“ haben. Nun revanchierte sich die Stadt mit einem mehr als opulenten Programm, in das alles, aber auch alles hineingesteckt und gestopft wurde, was sich auch nur entfernt auf „Herzogtum Braunschweig“ reimt. Frau Pöppelmann vom Landesmuseum trug vor – oder vielmehr: ließ vortragen, welche Köstlichkeiten vom nächsten Jahr an auf uns warten.

Denn schließlich will der Bürger, Hoffmanns Spar-Tiraden im Ohr, wissen, was mit seinen 1,2 Millionen gemacht werden soll. Man ist nicht kleinlich: Die Grenzen dürfen ruhig überschritten werden, räumlich wie zeitlich. Des großen Friedrichs und seiner Schwester Zwangverheiratung anno 1733 soll einen würdigen Auftakt zu einer Supershow zu Ehren der Stadt bilden, welche nächstes Jahr offensichtlich zum Mittelpunkt der Welt ernannt wird. Dabei hat besagte Hochzeit so wenig in Braunschweig stattgefunden wie die von 1913.

Jedoch war Braunschweig schon 1913 eine höchst moderne Stadt, wie man nicht müde wird zu betonen, ein Medienstadt gar: Voigtländer macht’s möglich - die an der Spitze des technischen Fortschritts marschierte.

Auch Emotionen spielen eine Rolle. Dabei ist an die 100.000 Landeskinder zu erinnern, welche den Weg des jungen Herzogspaares vom Bahnhof zum Schloss säumten. Diesen Weg will man nachstellen, und an den einzelnen Stationen wird dann an die Vereine, Bildungseinrichtungen und sonstigen Institutionen erinnert, die damals Spalier stehen durften (oder mussten?). Anscheinend ist an eine Fortsetzung des traditionellen Karnevalsumzugs mit anderen Mitteln gedacht ...

Noch viel ließe sich erzählen von dem, was uns nächstes Jahr geboten wird. Nur von einem darf nicht die Rede sein, und das ist der heraufziehende Krieg, von dem alle wussten, den manche wollten, vor dem viele warnten und der dann ein Jahr später zur Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts wurde.

An ihn darf nicht erinnert werden, und wer es trotzdem tut, wie z.B. das Friedenszentrum, das ein Projekt plant, welches den Kampf der SPD und der Gewerkschaften gegen die Kriegsgefahr zum Thema hat, soll finanziell abgestraft werden:

Die Projekte der freien Träger wurden skandalöserweise wieder einmal auf den nächsten Kulturausschuss, also den 14.12.2012, verschoben. Doch die Empfehlung der Verwaltung liegt bereits vor, und sie besagt, den Beitrag des Friedenszentrums auf ein Minimum zusammenzustreichen, weil der Fokus in dem Jahr 1914 liege.

Da man aber vorher mit der zeitlichen Einteilung höchst großzügig gewesen war (man denke an Fritzens Hochzeit, s.o.), kann es nur am Thema „Krieg“ liegen, das mit aller Gewalt ausgespart werden soll. Da reißt man ein Thema aus dem Zusammenhang und versperrt dem Betrachter des Jahres 2013 die Einsicht, dass ”1913“ nicht der Anfang der Moderne war, sondern das Ende einer unaufhaltsamen Entwicklung hin zum Abgrund.


Ingeborg Gerlach