Drucken

DISKUSSION aktuell:
12. Dezember 2020 (Friedenszentrum)  - von Ingeborg Gerlach



Trump will noch vor Weihnachten die Hälfte der in Afghanistan und im Irak stationierten US-Soldaten (1500 und 700)  abziehen. Gut so -- oder doch nicht? Die NATO-Militärs schlagen die Hände über dem Kopf zusammen: In das entstehende Vakuum werden China und der Iran eindringen, warnen sie. Weniger gut.

Trump sagt, er wolle sein Wahlkampfversprechen von 2016 einlösen. Seine Kritiker behaupten, er wolle noch vor dem Ende seiner Amtszeit möglichst großen Schaden anrichten. Dass er dazu in der Lage ist, zeigt der im Bund mit Israel verübte tödliche Anschlag auf den „Vater des iranischen Nuklearprogramms“, der die Hoffnungen auf ein neues Nuklearabkommen mit dem Iran drastisch vermindert.

Trump hat schon im Herbst 2019 Hals über Kopf amerikanische Truppen abgezogen, nämlich aus dem Norden Syriens und damit der Türkei freie Hand gegen die dort lebenden Kurden gegeben. Das war das Aus für Rojava, die autonomen kurdischen Siedlungen an der türkisch-syrischen Grenze. Bisher hatte die US sie beschützt. Hunderttausende mussten fliehen. In Nordsyrien fasste der IS wieder Fuß, den bisher die Kurden ferngehalten hatten. Die Zivilbevölkerung erleidet in Nordsyrien (Idlib) ein unsägliches Chaos, ein Ende ist nicht absehbar.

Der Irak, der von einer korrupten schiitischen Regierung kontrolliert wird, hat die starke sunnitische Bevölkerungsgruppe von der Macht ausgeschlossen. Das labile Regime wird immer wieder von Aufständen und Anschlägen erschüttert, die von der Regierung mit äußerster Grausamkeit (über 1000 Hinrichtungen in diesem Jahr) bekämpft werden. Die US-Truppen, die völkerrechtswidrig 2003 einmarschierten, haben nichts für die Stabilisierung des Landes getan.
 
Ähnliches gilt für Afghanistan Nach dem raschen Sieg der alliierten Truppen 2001 wurden die Taliban an die Peripherie getrieben, wo sie sich wieder regenerierten. Um „Nation Building“ kümmerten die US-Truppen sich nicht, das überließen sie ihren Verbündeten, darunter den Deutschen, die mit Brunnen und Mädchenschulen die Einheimischen beglückten. Einen Friedensschluss solange die Taliban noch schwach waren, versäumten die US-Amerikaner; sie verhandelten erst, als die Taliban fast in allen Provinzen wieder an Stärke zugenommen hatten und zudem der IS eine verhängnisvolle Rolle zu spielen begann. Die Bevölkerung ist geteilter Meinung: Ein Teil hofft, dass die Afghanis ihre Probleme allein regeln werden. Die anderen, vor allem Frauen, fürchten die flächendeckende Einführung der Scharia. Trotz der Verhandlungen zwischen der Kabuler Regierung und den Taliban gehen die Anschläge weiter. Viele befürchten, alles werde wieder so werden wie vor dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten.
 
Und die deutschen Truppen? „Wir sind mit den Amerikanern eingezogen, wir werden mit ihnen abziehen!“ betonen sie. Aber der überstürzte Abzug der US-Truppen verursacht große Probleme. Nur die Ausbildungstruppen sollen bleiben, aber geht das ohne amerikanischen Schutz? Eine Geberkonferenz Ende November stellte fest, dass ein Großteil der Projekte wahrscheinlich nicht durchführbar sein wird.  Und ein Oberbefehlshaber sinniert: „Was sollen wir den Truppen sagen, wenn sie fragen, wofür sie gekämpft haben und gestorben sind?“

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es zu einer Lösung kommen, die den Taliban eine starke Stellung in Afghanistan einräumt. Es wird Frieden eintreten, aber um welchen Preis? Ihn werden die Afghanis bezahlen, welche die Rache der zurückgekehrten Taliban fürchten müssen. Aber auch wir Deutschen zahlen mit über 140 Gefallenen, die Verletzten und Traumatisierten nicht gerechnet. Es wird Zeit, dass der Bundestag die Bilanz dieses Krieges zieht

Und vor allem soll man die Lehre ziehen, dass Interventionen zwar leicht zu beginnen sind, dass es aber kein Rezept gibt, wie man beende. Ob Frau Kramp-Karrenbauer und ihresgleichen in der Regierung oder im Parlament das jemals begreifen werden?


Das hätte man sich früher überlegen müssen. Kriege beginnen ist leicht, aber es gibt offenbar kein Konzept, wie man sie zu einen für die Betroffenen akzeptablen Ende bringen kann.




Ingeborg Gerlach