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DISKUSSION aktuell:
Mitte August 2021 (Friedenszentrum)  - von Ingeborg Gerlach 

Das Friedenszentrum ist bestürzt über die Ereignisse rund um Afghanistan. Unsere Mahnungen wurden nicht gehört, die afghanischen Helfer wurden letztlich im Stich gelassen. Die Aufnahme von Geflüchteten wird wieder neu diskutiert ... Das kann man nur als zynisch bezeichnen. Inge Gerlach schreibt für das Friedenszentrum:


Der Westen verliert seine Hegemonie und die Bundesregierung den letzten Rest ihres Ansehens

Der Auslöser der „Katastrophe“, wie das afghanische Desaster nun auch offiziell genannt wird, war der damalige Präsident Trump, der Ende 2020 mit den Taliban einen Friedensvertrag abschloss, ohne die afghanische Regierung mit einzubeziehen. Biden hätte den Vertrag nicht übernehmen müssen, aber er tat es doch und drückte noch aufs Tempo, weil er die US-amerikanischen Truppen vor dem symbolträchtigen 11. September nach Hause holen wollte – ein innenpolitisches Manöver mit Blick auf die Zwischenwahlen 2022. Ob er nicht wusste, welches „Chaos“ (derzeitiges Lieblingswort der Medien) er damit anrichtete? War er wirklich nicht über den desolaten Zustand der mit Dollarmilliarden gefütterten afghanischen Armee informiert? Und ahnte er nicht, welches Zeichen des amerikanischen Niedergangs er der entsetzten Welt geben würde? Offensichtlich akzeptierte er die „schmutzigen Bilder“ (Biden), die vom Flughafen Kabul in alle Welt gingen und verkündeten, dass auf US-amerikanische Sicherheitsgarantien kein Verlass war. Wer wird jetzt noch auf eine Nation vertrauen, die ihre Verbündeten derart im Stich lässt? Das „amerikanische Zeitalter“, wie das 20. Jahrhundert genannt wurde, ist endgültig vorbei. Aber beginnt jetzt das chinesische?


Die unverhohlene Schadenfreude der Chinesen angesichts der Niederlage ihres Erzgegners und die Herzlichkeit, mit der sie den Taliban begegneten, könnten diesen Anschein wecken, zumal sich Afghanistan als ein weiterer Baustein der Seidenstraße anbietet. Aber es gibt eine Kehrseite der Medaille, und das ist die Angst der Chinesen vor dem zunehmenden muslimischen Einfluss in Zentralasien. In den Truppen der Taliban kämpften auch muslimische Uiguren, und Peking fürchtet, dass die strenggläubig-sunnitischen Taliban im Bund mit Pakistan und den muslimischen Ex-Sowjetrepubliken mehr Macht gewinnen könnten als den Chinesen lieb ist. Daher bemühen sie sich jetzt, gut Wetter bei den neuen Nachbarn zu machen.

Und Europa? Mit dem Abzug der USA hat es seinen Einfluss in Zentralasien verloren. Jetzt fürchtet es die Flüchtlingsströme, die der Machtwechsel in Kabul ausgelöst hat und die über den Iran und die Türkei nach Westen drängen. Große Summen sollen die verzweifelten Menschen unterwegs festhalten, aber die Nachbarvölker wollen sie auch nicht haben.

Und Deutschland? Schuldvorwürfe treffen in erster Linie Außenminister Maas, der zuviel Optimismus verbreitete und die Warnungen der deutschen Botschaft in Kabul so wenig hören wollte wie die der Oppositionsparteien, der NGOs und sogar des Geheimdiensts. Aber auch die Verteidigungsministerin trifft Schuld und den Innenminister, der möglicherweise den rechtzeitigen Abflug afghanischer Helfer durch bürokratische Schikanen verhindert hat. Und wo blieb, last not least, das Donnerwort der Kanzlerin?

Der außenpolitische Experte der Linken, Gregor Gysi, konstatierte „Staatsversagen“ und legte der ganzen Regierung den Rücktritt nahe. Bis zur Wahl sollte sie nur noch geschäftsführend tätig zu sein. So weit wird es nicht kommen, aber die Bundesregierung, die beim Impfen wie beim Hochwasserschutz kläglich versagte, hat den letzten Rest ihres schon angeschlagenen Prestiges verloren. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sie bei der Aufnahme der geflüchteten afghanischen Helfer Menschlichkeit walten lässt.

 


Ingeborg Gerlach

  

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