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-- Ergänzung zur Ausstellung : Video-Interview als Lesetext. --


"Frieden bedeutet für mich, achtsam mit mir umzugehen, achtsam mit anderen umzugehen.

Gleichzeitig gegen Gewalt oder Ungerechtigkeit Widerstand zu leisten, sich entgegenzustellen, aber gewaltfrei. Das ist für uns wie eine Lebensberufung.

Ich wünsche mir manchmal Frieden auf der Welt, dass ich arbeitslos werde und vom Arbeitsamt ein minimales Gehalt bekomme. Das wünsche ich mir."

Otto Raffai lebt in Kroatien. Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien ab 1991 lehnte er den Wehrdienst ab. Er verbrachte einige Zeit in Österreich und der Schweiz und baute enge Kontakte zu kirchlichen Friedensinitiativen in Deutschland auf. Zurück in Kroatien begann er zusammen mit seiner Frau Ana, andere Menschen in gewaltfreiem Handeln zu schulen. Hunderte Menschen haben bis heute an ihren Kursen teilgenommen. Otto und Ana Raffai setzen sich besonders für das friedliche Miteinander der Religionen ein.


"Mein Name ist Otto Raffai.
Ich komme aus Zagreb.
Ich bin über 59.

Heute bin ich sehr engagiert in der Friedensarbeit, in Ausbildungen für Erwachsene in gewaltfreiem Handeln. Das ist meine Berufung geworden.

Diese ganze Arbeit machen wir zusammen mit meiner Frau.
Ja, wie soll ich sagen, viele fragen oft: „Ihr seid ein Ehepaar und ihr macht auch noch die Arbeit zusammen?“
Aber das hat wiederum unsere Beziehung noch gestärkt, weil es nicht pure Arbeit ist, sondern für mich wie auch für sie eine Berufung ist.

Dieses Engagement ist mehr als Arbeit. Arbeit natürlich, wir stecken Kraft und Energie da rein. Aber die Begegnung mit anderen ist wichtig für uns beide.


Was hat dich in deinem Leben geprägt?

Ich bin in katholischem Glauben aufgewachsen. Ich habe meine Kindheit in Kirchenräumen verbracht. Sehr früh bin ich Ministrant gewesen, Messdiener auf Deutsch. Mit vier Jahren war ich mit meinem Cousin, der drei Jahre älter ist, schon beim Religionsunterricht in der Pfarrei. Damals, das war in der sozialistischen Zeit nur in der Pfarrei möglich.

Ich bin irgendwie reingewachsen in diese Identität. Für mich war Jesu Nachfolge sehr wichtig. Ich wollte auch katholischer Priester werden.
Diese Identität, Jesu Nachfolge, prägt mein Leben auch heute. Nicht als Priester, ich bin nicht Priester geworden, aber für mich ist das sehr wichtig gewesen.

Ich habe Theologie studiert. Für mich war nach diesem Studium klar, dass ich für kein Ziel oder keinen Zweck einen anderen Menschen töten möchte. Das war die ganze Zeit meine Begründung, für mich selbst und meine Frau Anna hat diese Entscheidung auch unterstützt. Wie soll ich sagen, diese innere Haltung, dass es keine Ziele auf der Welt gibt, für die ich töten möchte, andere Menschen töten möchte.

Es ist für uns klar gewesen, für mich klar gewesen.

 

Als junger Mann hast du den Wehrdienst verweigert. Was hat dich dazu bewegt?

Im Frühling 1991, nach der ersten freien Wahl in Kroatien, wurden die wehrpflichtigen Männer einberufen, ihre Papiere zur Wehrpflicht zu regeln.
Dafür haben Männer aus meinem Ort, also Sezvete bei Zagreb, alle die Einberufung bekommen. Ich habe wie alle anderen Männer in diesem Raum dieses Berufungspapier bekommen und bin erschienen an diesem Tag.
Woran ich mich noch erinnere, ist die Polizeistation in Sezvete, in meinem Wohnort, wo ich jetzt auch lebe. Im ersten Stock oder welcher Stock es war, weiß ich nicht mehr, aber ein großer Sitzungsraum, wo wir 70, 80 Männer waren oder so scheint es mir, dass wir so viele waren.

Der Polizeichef hat erzählt, wir kriegen diese Uniform und die Waffe in dieser Tasche, die schon überall neben uns stand.

Ich habe gleich gefragt, als er fertig war:
„Gibt es eine andere Form, dieser Gesellschaft zu dienen?“
„Ohne Waffe und diese Uniform?“

Er hat mir ziemlich schnell geantwortet: „Jetzt noch nicht.“
„Sie können aufschreiben, wieso Sie das ablehnen möchten“
„und nicht diese Uniform und Waffe möchten.“

Dann habe ich die Papiere gekriegt und den Bleistift dazu oder den Kugelschreiber dazu.
Ich weiß, ich habe aufgeschrieben:
„Wegen meinen Glaubensgründen möchte ich das nicht annehmen.“

Wegen meiner Frage und meinem Schreiben hat sich dann ein Mann umgedreht vor mir.
Er hat gefragt: „Welchen Glauben hast du?“
Ich habe gesagt: „katholisch.“
Und er sagte: „Ja, wie ich auch, wir auch hier.“
Also fragende Augen: „Also, was ist los mit dir?“
Das weiß ich nicht, ob er so gedacht hat. Aber das dachte ich, dass er mir das irgendwie sagen wollte, aber nichts mehr.
Nur dieser Satz: „Wir sind auch katholisch. Was ist los mit dir?“
Das habe ich aus diesem Blick mitgenommen.
Aber das hat mich überhaupt nicht aufgerüttelt.

Wir sind alle auf verschiedene Weise, wie soll ich sagen, wir gehen auf verschiedene Weise unsere Wege.

 

1991 ist der Krieg in Kroatien ausgebrochen. Du warst eine Zeit lang im Ausland, um nicht in der Armee kämpfen zu müssen, bist aber noch während des Krieges zurückgegekehrt. Was hast du nach deiner Rückkehr gemacht?

Nach der Rückkehr im Jahr '93 nach Kroatien habe ich mich einer Initiative angeschlossen oder einem Verein, der Kriegsdienstverweigerer berät. Für Männer, die keinen Waffendienst in der Kriegszeit machen wollten, sondern ohne Waffe. Wobei in dieser Zeit auch viele schikaniert wurden mit dieser Auswahl ohne Waffen zu dienen.

Es gab viele Situationen, in denen sie an Frontlinien ohne Waffen diese Schutzgräben machen mussten. Dann sind sie auch in Lebensgefahr geraten durch diese Rolle. Wobei sie sich entschieden hatten, ohne Waffen zu dienen. Dann wurde das auch ein bisschen missbraucht, dieses Gesetz gegen Menschen. Manchmal waren das auch Serben, die in Kroatien geblieben sind oder Einwohner, die wie ich in Zagreb gewesen sind.
Aber weil der Krieg zwischen der serbischen Seite und der kroatischen Seite ging, wurden die Menschen manchmal auf diese Weise schikaniert.

Ich sage auch heute: Gewaltfreiheit kann man lernen. Einen gewaltfreien Weg zu gehen, kann man lernen.

Und auch die Ausbildungen, die wir hier in Deutschland gemacht haben beim damaligen Ökumenischen Dienst im Shalom Diakonat e.V., also ein Verein, der Ausbildungen angeboten hat für Menschen, die sich langfristig für Frieden einsetzen möchten.

So sind wir dazu gekommen. '95 war der erste Aufbaukurs, an dem wir beide teilgenommen haben. Für mich war das ein Wendepunkt in meinem Leben. Während der Praktikumszeit im Jahr '96 haben wir in Kroatien Menschen aus Friedensorganisationen kennengelernt. Wir sind noch heute mit manchen sehr verbunden im Engagement. Seitdem leiten wir Trainings und Ausbildungen für Erwachsene in gewaltfreiem Handeln.

 

In welchen Ländern arbeitet ihr hauptsächlich?

Wir machen jetzt in letzter Zeit mehr in Kroatien, früher mehr Bosnien, aber weiterhin sind Bosnien und Kroatien unsere Hauptregionen, wo wir wirken, weil das ehemalige Kriegsgebiete sind.

So machen wir unsere Ausbildungen bis heute, seit '96 immer mit verschiedenen Zielgruppen, mit verschiedenen Programmteilen. Wir haben in dieser Zeit mehrere Programme entwickelt. Die Grundkursebene für Menschen, egal welche Menschen aus egal welcher Zielgruppe. Dann später auch Programme, die für Gläubige vorgesehen sind, weil wir gesehen haben, als 2003 der zweite Irakkrieg ausgebrochen ist, ist in unserer Gegend auch diese Spannung zwischen Christen und Muslimen angestiegen. Besonders weil es nach dem Krieg war: '95 hat der Krieg in Bosnien aufgehört mit dem Dayton Abkommen. Aber das war eher wie ein Waffenstillstand, nicht so ein richtiges Friedensabkommen. 2003 ist diese Spannung wieder angestiegen.

Für uns war wichtig, dass wir die Freundschaften, die wir schon hatten, aus den Ausbildungen 2001 im Januar und im November mit der Organisation Abraham Ibrahim aus Sarajevo, dass wir diese Menschen in Kontakt bringen möchten.

Seit 2006 bieten wir interreligiöse, edukative Begegnungen. Das sind viertägige Trainings, die für Menschen vorgesehen sind, die sich gläubig nennen: christliche Ecke, orthodoxe, katholisch oder protestantisch oder Muslime. Diese Programme sind so gestaltet, dass man im ersten Teil Kommunikationsfertigkeiten lernt, die für Dialoge dienen können und im zweiten Teil gibt es einen Austausch über die Identität:
Was ich darunter verstehe. Was ich meine, wenn ich sage, ich bin katholisch oder ich bin Muslim oder Muslima, was das für dich heißt.
Du sollst das allen anderen in zwei Minuten vorstellen. Da kommt das vor, was den Menschen am wichtigsten ist, in diesen zwei Minuten zu erzählen.

Was ich zum Beispiel gelernt habe, ist, dass dieses Friedenspotenzial in diesem Glauben präsent ist. Was ich von muslimischen Teilnehmenden gelernt habe, ist, dass sie sagen: „Wenn ich einen Menschen rette,“ „ist es, als ob ich die ganze Menschheit gerettet hätte.“
Es ist so als Gebot im Koran vorgeschrieben. Du sollst dich für einen Menschen einsetzen, weil das so ist, als ob du die ganze Menschheit gerettet hättest. Auch wenn du einem Menschen Schaden zufügst, ist es, als ob du der ganzen Menschheit geschadet hättest. Das ist für mich stark, weil das eine tiefe Grundlage ist, um einen gemeinsamen Weg zu gehen.

Zum Beispiel bei den Christen ist die Hauptbotschaft: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Darüber gibt es keine größere Botschaft. Besonders bei Christen, dass wir an diese Verkörperung von Gott glauben, dass ein Gott Mensch wird, weil er uns zu Gott erheben möchte. Wenn ich jemanden heute treffe und mit christlichen Augen anschaue, ist jeder ein Gott für mich. Jeder. Es wurde nicht gesagt: nur die Christen oder nur die Kroaten oder die Ungarn oder so, sondern jeder Mensch ist wie Gott. Fertig.

Deswegen ist für mich die Hauptaufgabe so zu leben, dass ich anderen keinen Schaden antue.

Und ja, das kann man lernen.

So lernen wir auch die Gewalt. Wir kriegen verschiedene Botschaften von Eltern, Großeltern, der Umgebung:
„Wenn dich jemand schlägt, dann schlag zurück und dann bist du im Recht.“ Das muss nicht so sein, sondern was kann man noch tun?
Was kann man tun, wenn es in Gewalt eskalieren könnte? Das kann man üben. Ich denke, unsere Trainings tragen dazu bei, dass wir Menschen ermutigen, solche Werte zu leben.

 

Wir haben dich gebeten einen besonderen Gegenstand zum Interview mitzubringen. Was möchtest du zeigen?

Ich habe diesen Gegenstand, diesen kleinen Ring, aus einem Fruchtkern gemachten Ring aus Lateinamerika, den ich in diesem Aufbaukurs auch kennengelernt habe, über unseren Freund, der über 20 Jahre in Peru gelebt hat. Er hat von diesem Solidaritätsring erzählt. Das heißt Solidaritätsring. Den machen diese Ureinwohner selber und wir hier in Europa verkaufen ihn symbolisch.

Für mich ist dieser Ring eine Erinnerung, dass es überall Menschen gibt, die sich für eine bessere Welt einsetzen möchten, die sich für den Frieden einsetzen oder sich für andere Menschen einsetzen, die anders sind als sie selbst oder sich für die Natur einsetzen: für diese Ureinwohner, für den Urwald oder das Erhalten von diesem Zustand, wo sie leben, dass das nicht zerstört wird. Dieses Engagement hilft der ganzen Menschheit.

 

Wie können wir Frieden erreichen?

 

Eine friedliche Gesellschaft für mich bleibt wie eine anziehende Visionskraft. Das wird es nie geben.
Aber wir legen jetzt schon die Steine, um dort hin zu gehen. Wie sagt man das? Wir trampeln schon in diese Richtung.

Konflikte bleiben, aber nicht mit Gewalt. Es gibt andere Wege, mit Konflikten umzugehen. Das finde ich einen wichtigen Inhalt, dass wir irgendwie in Gesellschaften Bewusstsein schaffen, dass es Konflikte geben wird, aber Gewalt ist nicht notwendig dafür, dass es gelöst wird. Ich denke, es ist immer so: Wir sehen in der Nachkriegszeit, wie viel Mühe es ist, Menschen nach solchen Erfahrungen wieder zurückzubringen. Aber wir geraten ziemlich schnell in eine Kriegsrichtung. Sehr schnell geraten wir in diese Richtung. Das ist die Gefahr. Die Kriegsführer möchten diesen Weg. Man denkt, dass wir sonst nicht aus dem Krieg rauskommen.

Ich denke, das ist nicht ganz wahr, weil gewaltfreie Menschen und Gedanken auch in der Ukraine präsent sind, auch in Russland. Dominant sind leider diese Waffen oder Krieg und Tragödie. Aber trotzdem: Diese Menschen werden Spuren hinterlassen, die, wenn einmal dieser Krieg aufhört, das Potenzial haben, um weiterzugehen. Ich spüre die Wirkung in unseren Freundschaften, die wir mit Menschen haben. Wenn wir in ein Gebiet wiederkommen, die Menschen, die wir in Ausbildungen getroffen haben, treffen wir oft wieder. Aus unseren Programmen, aus diesen Gruppen gibt es immer einen oder mehrere, die sich in ihrer eigenen Umgebung engagiert haben. Wir ändern die Menschen nicht, aber wir wirken, da bin ich tief überzeugt.

Ich habe auch in meinem Leben diese Wirkung von Menschen erlebt, die sich für Frieden eingesetzt haben. Wir treffen oft Menschen in Ausbildungen, die vieles zu Kriegszeiten erlebt haben: die z. B. direkten Schaden aus dem Krieg davongetragen haben. Auch die Soldaten - unser Freund verteidigte Sarajevo als junger Mann und heutzutage ist er in der Friedensarbeit sehr engagiert, als ehemaliger Krieger.
Diese Menschen wünschen ich, dass ihre Kinder nicht erleben, was sie erlebt haben. Ihr Engagement ist in diesem Sinne wiederum wegweisend für viele. Dass nicht mehr solche Sachen passieren.

 

Was ist deine Botschaft an Menschen, die sich für Frieden engagieren möchten?

Ich denke, das Engagement für die Verbesserung dieser Welt braucht dieses Ausharren. Einfach konsequent bleiben. Das ist ähnlich bei unserer Arbeit, bei Trainings, dass wir den Menschen immer wieder diese Themen beibringen oder sie sich damit auseinandersetzen.

Dieses Thema Gewaltfreiheit: Wie mache ich was? Das kann man nicht wie mit einem Harry Potter Zauberstab herbeizaubern, sondern man muss ausharren auf diesem Weg. Deswegen ist es für mich ein gewaltfreier Weg. Gewaltfreiheit ist nicht statisch, sondern dynamisch, weil es immer wieder neue Situationen gibt, die mich herausfordern: Wie reagiere ich? Oder wie übernehme ich die Initiative, damit nicht diese Gewalt das letzte Wort hat.

Ich denke, jeder ist fähig zu einem gewaltfreien Weg.
Das ist nicht mein Satz, das ist noch von Gandhi.

Niemand ist unfähig.
Jeder kann das.
Das ist eine Aufgabe für mein ganzes Leben."



Quelle: Video-Transkript von https://youtu.be/0cgHzxm2JBc?feature=shared

 


Dieser Text ist Teil der multimedialen Ausstellung "Gesichter des Friedens" von Pro Peace
Die Plakate sind zu sehen vom 2. - 30.6. im 2. Obergeschoss der Stadtbibliothek Braunschweig (Lesesaal).