Vortrag und Diskussion mit Dr. Judith Dellheim - Bericht
Vortrag am 21.5.2025 im Haus der Kulturen, Braunschweig
Die gemachte »Zeitenwende« und der Anteil des BDI an den gegenwärtigen Herrschaftsstrategien - friedenspolitische Herausforderungen
Zusammenfassung des Vortrages durch die Referentin Dr. Judith Dellheim:
1. Zur „Einstimmung“ in das Thema und den zu diskutierenden Fragen
„Der ‚militärisch-industrielle Komplex‘ in der Bundesrepublik Deutschland“ war das gestellte Thema, das ich in etwas modifiziert habe. Ich spreche zur „Gemachten ‚Zeitenwende‘ und zum Anteil des BDI an den gegenwärtigen Herrschaftsstrategien“ (Deckblatt bzw. Folie 1).
Der Grund dafür ist die fortschreitende Verquickung der Industrie und der Gesellschaft mit dem Militärischen. „Militärisch-industrieller Komplex“ suggeriert einen klar definierbaren Komplex des Militärischen mit einem abgrenzbaren Teil der Industrie. Dass das nicht so ist, liegt vor allem an den neuen Technologien, die relevant wiederum einen militärischen Ursprung haben, und an der Finanzialisierung – an den Akteuren hinter den Finanzmärkten, über die relevant ökonomische Prozesse vermittelt werden. Diese Akteure investieren zusätzlich zu den traditionellen Rüstungsproduzenten, ihren Banken und zum Staat in das Militärische bzw. in das militärisch Nutzbare. Ergo: die Kapitalverhältnisse entfalten sich weiter, weil die Kapitaleigentümer und ihre Manager weiterhin forciert ausbeuten, ökonomische Zwänge, „Sicherheits-“ bzw. „Verteidigungs“- und Expansionsbedürfnisse produzieren. Solche Kapitalakteure haben sich insbesondere im Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) organisiert.
Auch der BDI hat sich zum Koalitionsvertrag 2025 von CDU/CSU und SPD geäußert (Folie 2).
Zu den Quellen der Zitate wäre anzufügen: Das erste Zitat hatte ich in Vorbereitung unserer Veranstaltung der Website des BDI entnommen, aber diese ist mittlerweile verändert. Interessanterweise benutzt auch der Dienstleister Remondis dieses Zitat. Auf seiner BDI-Website war noch am 10.6.2025 folgende Quellenangabe zu finden:
Nachhaltige Entsorgungskonzepte: Resilienz und Klimaziele die Industrie stärken // REMONDIS Industrie Service
Die anderen beiden Zitate finden sich unter:
https://bdi.eu/artikel/news/bewertung-des-koalitionsvertrag-von-cdu-csu-und-spd
Aus dem BDI-Lob für den Koalitionsvertrag wird deutlich, dass der BDI seine Forderungen berücksichtigt sieht, was die Frage nach seinem Einfluss auf die Regierungspolitik aufwirft. In dem BDI-Artikel werden auch weitergehende Forderungen erhoben. Dieses Prinzip – Wir fordern „von der Politik“, wir bewerten sie ausgehend von der Umsetzung unserer Forderungen. Wir treiben sie mit unseren Forderungen weiter – prägt das Verhältnis des BDI zu den jeweiligen Regierungen und „zum Staat“. Das wirft die Frage nach dem Akteur BDI und den Ursachen seiner Macht auf. Die Dringlichkeit dieser Frage kann noch durch ein weiteres Zitat zum Koalitionsvertrag illustriert werden (Folie 3).
Es stammt vom BDI-Mitgliedsverband BDLI, dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V., und bildet das Drängen auf die weitere Verquickung der Industrie mit dem Militärischen ab. Der BDLI hat über 260 Mitglieder und beschäftigt direkt rund 115.000 Arbeitskräfte in den zivilen und militärischen Bereichen der Luftfahrt ( https://www.bdli.de/der-verband/bdli ). Ihre Grenze ist fließend.
Damit wird die Frage nach der Rolle des BDI für die Militarisierung „der Industrie“ bzw. „der Wirtschaft“ in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere für die „Zeitenwende“ zugespitzt. Ihrer Diskussion folgen diesen Beitrag abschließend einige Überlegungen zu der Frage, was all das für uns als friedensliebende Menschen bedeutet.
Rosa Luxemburg gibt die Orientierung für die Suche nach Antwort auf die gestellte Frage (Folie 4).
Die genaue Quelle des Zitats ist: Luxemburg, Rosa: Karl Marx, in: Rosa Luxemburg. Gesammelte Werke, Bd. 1.2, Berlin 2000 [1903], S. 372–373.
Luxemburg verlangt die Beobachtung der Gegner und politökonomische Analyse, um herauszufinden,
a) warum welche bürgerlichen Akteure mit ihren Interessen wie handeln, worauf sie reagieren und welche dynamischen Interessenwidersprüche innerhalb und zwischen den gesellschaftlichen Klassen und sozialen Gruppen ihrem Agieren zugrunde liegen;
b) welche politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Wirkungen ihre Handlungen im Moment haben bzw. kurz-, mittel- und langfristig haben können und
c) was das für die politischen Handlungsbedingungen und Herausforderungen für die Linken, die Sozialistinnen und Sozialisten bedeutet.
Wären wir Rosa Luxemburg konsequent gefolgt, wären zum einen viele Protestaktionen nicht erst zustande gekommen, nachdem ein Gesetzentwurf Thema im Bundestag wurde. Die Aktionen hätten bereits stattfinden können, nachdem der BDI seine Grundsatzpapiere und Forderungen auf den Tisch gelegt hat. Das betrifft neoliberale Positionen und Politikmaßnahmen und die militärische Rüstung. Sie gingen und gehen zusammen. Ausgehend von der politökonomischen Analyse hätten uns auch keine BDI-Grundsatzpapiere und politischen Forderungen überraschen können. Damit wird keineswegs gesagt, dass Geschichte einem ökonomischen Determinismus folgt, sondern, dass im Gegenteil, Geschichte anders verlaufen wäre, wenn wir besser linke bzw. sozialistische Politik betrieben hätten.
2. Zum wirtschaftlichen und politischen Akteur BDI
Das Luxemburg-Zitat orientiert auch und insbesondere auf die immer wieder zu diskutierende Frage, warum und wie gesellschaftliche Akteure, heutige Zustände und Probleme entstanden sind. Die Vorgeschichte des BDI reicht weit zurück. Bereits 1861 gelang es den Unternehmern, den "Deutschen Handelstag" als dauerhafte Dachorganisation zu gründen. Immer ging es um widersprüchliche Verhältnisse zum Staat (zwischen Kooperation und Opposition) und die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften. Im Zuge der Reichseinigung 1871 und der ab 1873 beginnenden tiefgreifenden Wirtschaftskrise wuchsen die staatlichen Interventionen in das gesellschaftliche Wirtschaftsleben und die bereits agierenden Unternehmerverbände schufen 1876 den "Centralverband Deutscher Industrieller" (CDI). Dort drängten die Vertreter der Schwer- und der Textilindustrie auf Protektionismus. In Reaktion auf den dennoch wachsenden Einfluss der Freihandelsanhänger im CDI gründeten die Protektionisten 1895 den "Bund der Industriellen". 1913 bildeten sich dann reichsweite einheitliche Unternehmerverbände. Da hatten breite Unternehmerkreise als Betreiber von Kolonialismus und Rüstung bereits die Hegemonie unter den Unternehmern. 1919 erfolgte die Vereinigung zum "Reichsverband der Deutschen Industrie" (RDI). ( https://webarchiv.bundestag.de/archive/2007/0814/dasparlament/2006/15-16/Beilage/003.html ).
Das war der Zusammenschluss aus dem Bund der Industriellen, des Centralverbands deutscher Industrieller und des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands. Man hatte relevant militärökonomischen Background. Ein Teil des RDI gründete 1926 in Zusammenarbeit mit dem Heereswaffenamt die geheime Rüstungsorganisation Stega. In der Weltwirtschaftskrise drängte der rechte Flügel des RDI, vorwiegend aus Schwerindustriellen und kleineren Unternehmern bestehend, auf einen autoritären Staat und grenzte sich dabei keinesfalls von der NSDAP ab. Im Oktober 1930 initiierte der Bergbauverein die „Wirtschaftspropagandistische Abteilung“ des RDI, die sich wohlwollend mit den wirtschaftspolitischen Optionen der NSDAP und des Faschismus beschäftigte. Im Juni 1933 fusionierte der RDI mit der Vereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände zum Reichsstand der Deutschen Industrie. Offene Hitler-Anhänger hatten sich dafür besonders engagiert. Dass die deutsche Industrie eine Stütze des deutschen Faschismus war, Krieg, Mord und Zwangsarbeit als Instrumente der Profitmaximierung nutzte, ist überzeugend bewiesen. Unter den Westalliierten gab es zunächst Meinungs- und Interessenunterschiede in der Frage eines RDI-Nachfolgers. Das hatte nicht zuletzt mit der Interpretation des Potsdamer Abkommens zu tun. Dieses schloss die Bildung zentralisierter Wirtschaftsstrukturen aus. Aber wenige Tage nach Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949 wurde auf Initiative der Westalliierten der Ausschuss für Wirtschaftsfragen von 32 industriellen Verbänden und Arbeitsgemeinschaften geschaffen. Anfang 1950 erfolgte die Umbenennung in Bundesverband der Deutschen Industrie. Das Gründungsdokument (Folie 5)
– vollständige Quelle: https://bdi.eu/media/bdi/Historie/19491019_Bericht_ueber_die_Gruendung_des_Ausschusses_fuer_Wirtschaftsfragen_der_industriellen_Verbaende_Koeln.pdf ) – stellte klar: Man wollte/will „schlagkräftig“ die eigenen Interessen durchsetzen und versteht sich neoliberal. Die Genesis der herrschenden neoliberalen Wirtschaftspolitik hatte bereits mit der BDI-Gründung begonnen. Die Arbeitgeberverbände stimmten wie selbstverständlich zu. Sie hatten sich bereits im April 1949 zur einheitlichen Spitzenorganisation BdA zusammengeschlossen. Ende Oktober 1949 konstituierte sich der Deutsche Industrie- und Handelstag DIHT ( https://webarchiv.bundestag.de/archive/2007/0814/dasparlament/2006/15-16/Beilage/003.html ). Ende November 1949 beschlossen Handwerker:innen, den „Zentralverband des Deutschen Handwerks“ ZDH zu schaffen. Diese vier Verbände sind die deutschen Unternehmerspitzenverbände und verfolgen das gemeinsame Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen“. Sie weisen ein jeweils spezifisches Profil und Organisationsprinzip auf. Ihre Repräsentant:innen kommen seit 1965 jährlich anlässlich der Internationalen Handwerksmesse in München zum Spitzengespräch zusammen, betreiben eine gemeinsame Website, treffen sich jährlich mit Frau Bundeskanzlerin oder Herrn Bundeskanzler und sind sich in wirtschaftspolitischen Grundfragen sehr einig. Sie haben in den zuständigen Bundesministerien konkrete Ansprech- und Kooperationspartner/innen. Die Ministerien initiieren ihrerseits fachpolitische Koordinierungen, zu denen sie die Verbände einladen. Hinzu kommt die Mitwirkung der Verbände in Beiräten und Kommissionen der Bundesministerien bzw. -regierung. Die Verbände arbeiten ferner in EU-weiten, internationalen bilateralen und multilateralen Zusammenschlüssen und Gremien zur Wirtschaftspolitik mit, was die Wichtigkeit ihrer Beratungen mit den Ministerien weiter illustriert.
Der BDI versteht sich als Mitgliederorganisation. Seine Mitglieder sind Wirtschaftsverbände, die eine Branche oder Dienstleistungsgruppe repräsentieren. Der BDI zählt 39 Branchenverbände und eine Arbeitsgemeinschaft aus 6 Verbänden mit gemeinsamer Mitgliedschaft (Folie 6).
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverband_der_Deutschen_Industrie ).
Mehr als 3.000 Vertreter/innen der Mitgliederverbände arbeiten in den Gremien des BDI. Das sind insbesondere 17 Ausschüsse (drei davon gemeinsam mit der BdA). Darunter ist der Ausschuss „Sicherheit“ mit den Schwerpunkten Verteidigung, Rüstungsexporte und Wirtschaftsschutz. Die Ausschüsse werden wiederum von über hundert Arbeitskreisen und Ad-hoc-Gruppen unterstützt. Hinzu kommen themenbezogene Projekte, Task Forces, regelmäßige Gesprächskreise und eher informelle Zusammenschlüsse. Eine BDI-Broschüre gibt dazu mehr Informationen ( https://bdi.eu/media/publikationen/?publicationtype=Themenbrosch%C3%BCren#/publikation/news/die-stimme-der-industrie/ ).
Der BDI und seine Mitgliedsverbände verfügen über insgesamt 15 Vertretungen in den Bundesländern. Sie bemühen sich insgesamt erfolgreich um Einflussnahme auf die Landespolitik und Entscheidungen im Bundesrat. In Brüssel, Washington und Peking agieren BDI-Vertretungen als Foren für Unternehmen in bzw. aus Deutschland. Sie engagieren sich für deutsche Industrieinteressen gegenüber den Regierungen in ihren Gastländern und in den betreffenden Weltregionen. Für die jeweilige Bundesregierung ist klar, dass kein Gesetz, das die Entwicklung der Industrie bzw. relevanter Industriebereiche tangiert, ohne Mitsprache des BDI den Gesetzgebungsprozess passiert. Oftmals initiieren oder modifizieren der BDI bzw. seine Mitgliedsverbände Gesetzesvorhaben. Ergo: Ohne den BDI läuft industriepolitisch nichts von Belang in der Bundesrepublik Deutschland. Auf der EU-Ebene, wo der BDI gut vernetzt ist, gilt das erst recht für den European Round Table of Industrialists (ERT) mit insgesamt 60 Spitzenmanagern von in Europa und darüberhinaus führenden Unternehmen. Die neun Top-Manager/innen aus Deutschland, die dem ERT angehören, repräsentieren ausschließlich Unternehmen, die in BDI-Mitgliedsverbänden vertreten sind. ERT-Mitglieder sind unter anderen ein bis 2020 leitender BDI-Funktionär (Leonhard Birnbaum, E.on) und ein gegenwärtiger BDI-Spitzenvertreter (Oliver Zipse, BMW Group). ( https://ert.eu/members/ ) In seinem Visionspapier 2024-2029 “Securing Europe’s place in a new world order” (Europa’s Platz in einer neuen Weltordnung sichern“) erklärt der ERT, dass in der EU mehr für die Nachfrage nach Forschung, Entwicklung und Produktion von Rüstungskapazitäten getan werden müsse. „… die EU-Institutionen und die Mitgliedsländer müssen klare und starke Signale aussenden, die die strategische Wichtigkeit der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie für eine sichere und nachhaltige Gesellschaft anerkennen.“ Es sei zu sichern, „dass der Zugang zu Finanzen für Europas Verteidigungsindustrie weder entmutigt noch abgeschreckt wird.“
( https://ert.eu/wp-content/uploads/2023/10/ERT-Vision-Paper-2024-2029-Highlights-1.pdf , S. 13 )
Der BDI kann also stolz auf seine Vertreter am ERT sein.
3. Der BDI als rüstungspolitischer und -wirtschaftlicher Akteur, als Macher der „Zeitenwende“
Der BDI war von Beginn an ein außenwirtschaftlicher und ein außenpolitischer Akteur, der die Profitinteressen und somit die Exportinteressen der (west)deutschen Industrieunternehmen verfolgt. Hier gab es bereits eine Interessenübereinstimmung mit dem ersten Bundeskanzler Adenauer, zu dem der erste und langjährige BDI-Präsident Berg bereits vor der Verbandsgründung ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte.
Vier Faktoren prägten ihre außenpolitische Strategie: das Bekenntnis zum „Westen“, das Eintreten für ein „einiges Europa“ als Voraussetzung für eine deutsche Einigung, die Verständigung mit Frankreich und das gute Verhältnis zu den USA. „Der Westen“ und vor allem die USA führten kalten Krieg gegen die Sowjetunion und ihre Satelliten.
BDI-Kritik gab es am Marshallplan und an der EU bzw. ihren Vorläufern, wenn den eigenen Vorstellungen von Souveränität nicht ausreichend entsprochen wurde.
Aber man forcierte immer den Abbau von Zöllen und Deregulierung sowie alles, was Gewinn an Profiten und politischem Einfluss versprach. Da eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zunächst verstellt war, bemühte man sich um Gefälligkeiten und Unterstützung für das US-Militär in Westdeutschland. Zur Durchsetzung seiner Interessen entwickelte der BDI mit seinen Mitgliedsverbänden Personennetzwerke und „Drehtüren“ zwischen wirtschaftlichen, staatlichen, politischen und später auch militärischen Spitzenvertretern. Er schuf Gremien initiierte Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Das BDI-Präsidium beschloss im Juli 1952, den „Arbeitskreis für Rüstungsfragen“ einzurichten. Rüstung wurde zu einem integralen Bestandteil der BDI-Politik von hoher Priorität. 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO. Die Spitzen von nun legalen Rüstungsunternehmen gründeten 1957 auf Initiative des neu geschaffenen Bundesministeriums für Verteidigung einen weiteren auf das Militär ausgerichteten Arbeitszusammenhang. Diesen erweiterten sie zehn Jahre später zur Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik e. V. (DWT) mit eigener Satzung. Es ging um ein Forum für den Austausch und den noch effektiveren „kurzen Draht“ zwischen Rüstungsproduzenten und Militärs sowie politischen und staatlichen Akteuren.
In den 1970/1980er Jahren betrieb der BDI organisationsintern seine strukturelle Erneuerung, um noch politikwirksamer zu werden. Der „Arbeitskreis für Rüstungsfragen“ erfuhr gezielte Unterstützung durch die Abteilung 3 „Verteidigung“ innerhalb der Hauptabteilung „Finanzpolitik und Recht“ der BDI-Geschäftsstelle.
Während in den Rüstungsunternehmen der BDI-Mitglieder Forschung, Entwicklung und der Einsatz neuer Technologien forciert wurden, vollzogen sich weltweit dramatische Veränderungen: So schritt zum einen mit militärischer Hochrüstung verknüpfte neoliberale Globalisierung voran, zum anderen kollabierten mehr oder weniger damit verbunden die DDR und vor allem das sogenannte sozialistische Weltsystem. Wären die Linken in Deutschland und Europa politisch auf der Höhe der Zeit gewesen, hätten sie ein Ende militärischer Interventionen und sie stützender militärischer Rüstung erwirkt. Große Teile der Bevölkerung, sogar Bevölkerungsmehrheiten wären ihnen gefolgt. Aber die Chance wurde verspielt.
„Der Westen“ intervenierte in den Golfkrieg, die NATO führte Krieg auf dem europäischen Balkan (Russlands Krieg gegen die Ukraine ist nicht der erste Krieg in Europa nach dem 8. Mai 1945). Die EU-Mitglieder in der NATO machten militärtechnologische Rückstände gegenüber den USA aus. In diesem Kontext erarbeiteten Think Tanks das Konzept der strategischen Autonomie der Europäischen Union. Bekannt wurde es insbesondere in Verbindung mit der Entwicklung des EU-Navigationssatelliten- und Zeitgebungssystems „Galileo“, das von Beginn an eine militärische Dimension hat. Im Herbst 1999 gründeten die Bundesverbände Informations- und Kommunikations-Systeme (BVB) und Informationstechnologien (BVIT) gemeinsam mit den Fachverbänden für Informationstechnik und Kommunikationstechnologien der BDI-Mitglieder VDMA (Verband des Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) und ZVEI (Zentralverband Elektro- und Digitalindustrie) den BDI-Branchenverband Bitkom. Bitkom zählt heute ca. 2.200 Mitgliedsunternehmen und weist eine außerordentlich starke militärische Dimension auf. Diese sollte nach Meinung des BDI wesentlich mehr politische und vor allem staatliche finanzielle Unterstützung erfahren. Dafür sei also großzügig das öffentliche Steueraufkommen einzusetzen, während man gleichzeitig Steuerentlastungen forderte.
Seine Unzufriedenheit „mit der Politik“ wuchs. Diese sollte konsequent neoliberale Reformen vorantreiben.
Die EU hatte im Jahre 2000 ihre Lissabon-Strategie beschlossen mit dem Ziel, die Europäische Union zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen und der BDI wollte dabei gewinnen. Er ging 2002 mit seinem Statusbericht „Für ein attraktives Deutschland“ in die Offensive und wetterte gegen eine vorgebliche „Unterfinanzierung“ des Verteidigungshaushaltes. (Folie 7)
Quelle: Für ein attraktives Deutschland. Statusbericht 2002: Nach vier Jahren rot-grüner Bundesregierung, Berlin, S. 63).
Die Forderungen nach mehr Geld für die Rüstung wiederholen sich, nur die konkreten Bezüge verändern sich. Hinzu kamen permanente politische und militärische Aktivitäten „des Westens“ gegen die Sicherheitsinteressen Russlands, das darauf nicht als Friedensmacht, sondern als Großmacht zunehmend imperial reagierte.
Dem Statusbericht 2002 des BDI folgte 2004 das BDI-Gesamtreformprojekt „Für ein attraktives Deutschland. Freiheit wagen – Fesseln sprengen“. Darin findet sich eine für unser Thema besonders interessante Passage:
„Zwar profitiert heute die zivile Industrie viel weniger von ‚Abfallprodukten‘ aus dem Rüstungssektor, als dass sich umgekehrt die wehrtechnische Industrie zunehmend auf kommerzielle Produkte stützt, vor allem aus dem Telekommunikations- und Informationstechnologiesektor. Dennoch gilt auch weiterhin, dass wehrtechnische Spitzenforschung zur technologischen Gesamtkompetenz eines Landes beiträgt, die sich in konkurrenzfähigen Unternehmensclustern spiegelt. Solche technologischen Cluster müssen als Eckpfeiler der Attraktivität eines Landes angesehen werden“
(BDI: Für ein attraktives Deutschland. Freiheit wagen – Fesseln sprengen. BDI-Gesamtreformkonzept, Berlin 2004. S. 102),
weshalb sie großzügig staatlich gefördert werden müssten, aber der Verteidigungsetat sei als unangemessen niedrig … Interessant sind die Verbindung zwischen militärischer Rüstung als Angelegenheit der gesamten Industrie und „Gesamtkompetenz“ bzw. Standortkonkurrenz – es geht um Profite und Markanteile und um ein „Global Change-Management im Rahmen internationaler Initiativen von UNO, NATO und EU“ ibid.). Um dem besser zu entsprechen, wurde in mehreren informellen Diskussionsrunden von Militärs und Unternehmern der Verteidigungsindustrie vereinbart, den Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) als BDI-Mitglied zu gründen. In dessen Vereinssatzung ist die Funktion eines Mittelstandsbeauftragten verankert. Er wird direkt durch die Mitgliederversammlung gewählt und fungiert als Beisitzer des Vorstandes. Die formelle Gründung des Verbandes erfolgte schließlich im September 2009. Zum BDSV mit seinen 100 Mitgliedern gehört auch der Verein BDSV Exhibitions, vormals Gruppe Wehrtechnische Messen. Der Verein ist verantwortlich für den deutschen Gemeinschaftsstand auf internationalen wehrtechnischen Messen. Das ist praktisch, denn da stellen die BDSV-Mitglieder aus. Daher ist der/die Geschäftsführer/in des BDSV ist gleichzeitig Geschäftsführer/in von BDSV Exhibitions. Der BDSV wurde Mitglied der DWT und diese wurde zur „Dialog- und Informationsplattform im Spannungsfeld von Bundeswehr, Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“. Man will einen profitablen „Beitrag zur bestmöglichen Ausrüstung der Bundeswehr […] leisten“ ( www.dwt-sgw.de/die-dwt ).
Im November 2012 informierte der BDI über die Schaffung des Ausschusses „Sicherheit“ unter Leitung des CEO von Diehl Defence.
Damals wurden noch Daten zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) in der Bundesrepublik veröffentlicht. Die jüngsten öffentlich zugänglichen Daten sind von 2014. Betrug das durchschnitt Wachstum der Wirtschaft in Deutschland 2010-2014 ca. 3 Prozent, so das der SVI 7,8 Prozent. Mit einem Anteil von 24 Prozent an der indirekten Wertschöpfung durch Informationstechnologien und Informations- und Kommunikationsdienstleistungen erlangte die SVI den absoluten Spitzenplatz in der deutschen Industrie. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsleistungen an der SVI-Wertschöpfung betrug 7,1 Prozent. Die SVI ist also forschungs- und entwicklungsintensiv. Sie greift von als zivil geltenden Akteuren Forschungs- und Entwicklungsleistungen ab: Etwa 63 Prozent der SVI-Unternehmen entwickelten ihre Innovationen in Forschungskooperation mit Akteuren außerhalb der Branche, ( https://www.wifor.com/uploads/2019/02/WifOR_BDSV_O%CC%88konomischer_Fu%C3%9Fabdruck_der_deutschen_SVI-1.pdf , S. 2-3), deren Grenzen nicht auszumachen sind. Die Spitzentechnologien haben sie verwischt.
Anfang Juli 2015 veröffentlichte die Bundesregierung ihr „Strategiepapier zur Stärkung der Verteidigungsindustrie“. Sie begründete ihr Tun mit Russlands Politik, das der Westen unentwegt provozierte und das sich provozieren ließ, und beschloss zehn Schwerpunkte zum Ausbau der SVI (Bundesregierung: Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland, Berlin 2015, S. 2–7). Das Papier erwähnt zwei stattgefundene Branchendialoge und würdigte die IG Metall und die Betriebsräte in den relevanten SVI-Unternehmen für ihre konstruktiven Beiträge (ibid., S. 7). Der BDSV begrüßte all das und forderte wie gewohnt entschiedene Erhöhungen der „Verteidigungs“ausgaben im Bundeshaushalt. Er bezog sich auch auf EU-Dokumente 2015 und das „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ (BDSV: Zur Verabschiedung eines Strategiepapiers der Bundesregierung zur Stärkung der SVI in Deutschland, Presseerklärung vom 8.7.2015, Berlin). 2017 veröffentlichte der BDI seine Broschüre „Für eine moderne Sicherheitspolitik: Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie“. Er mischt sich seitdem noch offener und offensiver in die Außenpolitik der Bundesrepublik ein (Folie 8)
BDI-Quelle: Für eine moderne Sicherheitspolitik. Positionspapier, Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie, Berlin 2017, S. 2.
Die Einmischung zeigt sich dann sehr ungeschminkt in der Rede der BDI-Hauptgeschäftsführerin Gönner auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2023: „Wir müssen […] strategisch vorausschauender, vorbereitet sein. Dazu gehört, Abschreckung als einen Grundpfeiler der Krisenvermeidung und Risikominimierung anzuerkennen und zu nutzen […] Abschreckung in diesem Sinne bedeutet erstens, klare Signale zu setzen über die eigenen Ziele und Interessen gegenüber einem potenziellen Konkurrenten oder Rivalen. Sie heißt zweitens, deutlich zu machen, dass man den Willen und die Mittel hat, für eben diese Ziele und Interessen einzustehen [...] Und drittens bedeutet Abschreckung, dass man immer einen Plan B in der Tasche hat. Nur dadurch wird letztlich Widerstandsfähigkeit, Resilienz, erreicht, gegenüber welchem Risiko auch immer.“ ( https://bdi.eu/artikel/news/muenchner-sicherheitskonferenz-krieg-in-europa-erwartungen-der-industrie-an-die-politik )
Allerdings überstiegen bereits 2021 die Militärausgaben der NATO-Staaten jene von Russland um fast das 20-Fache.
Der BDI forciert die Aktivitäten des BDSV, der sich als Vertreter deutscher Industrieinteressen in der NATO und insbesondere in deren Industrial Advisory Group (NIAG) versteht. Die NIAG befördert die Einbindung der SVI-Exporteure in die transnationale Rüstungskooperation. Sie arbeitet für die Konferenz der Rüstungsdirektoren (CNAD) und kommuniziert mit den Main Armaments Groups sowie den NATO-Kommandobehörden und -agenturen. Dabei geht es um technologische Trends und ihre Konsequenzen für die Beschaffung militärischer Ausrüstungen, um die Entwicklung von Systemanforderungen und die Netzwerkarbeit zwischen NATO-Vertretern und Industriellen in den NATO-Mitgliedsländern. Die umfassende Integration in die NATO-Strukturen und die anderen Bedingungen, um erfolgreich globale Entwicklungen bestimmen zu können, begründen zusätzlich, warum der BDSV, seine Mitglieder und Partnerverbände bzw. der BDI die Bundespolitik beeinflussen wollen. Sie nutzen alle Möglichkeiten, um vor anstehenden Kabinettsvorlagen und -beschlüssen ihre Positionen und Forderungen zu formulieren und sofort nach Bekanntwerden der Dokumente Stellungnahmen zu veröffentlichen, die spiegeln, inwiefern man sich durchsetzen konnte bzw. ob man mehr oder weniger direkt an der Erarbeitung der Regierungspapiere beteiligt war. Das gilt u. a. für den „Zukunftsmarkt Weltraum“, der sich laut Unternehmensberatern bis 2040 verzehnfachen wird und wovon man maximal profitieren will. „Militärische Einsätze sind ohne Weltraumsysteme nicht mehr vorstellbar. Die Abhängigkeit von weltraumgestützten Systemen und Dienstleistungen wird mit der fortschreitenden Digitalisierung auch bei den Streitkräften weiter zunehmen. Der ungehinderte Zugang und die störungsfreie Verfügbarkeit weltraumgestützter Systeme und Dienstleistungen sind dabei von hoher Relevanz.“ (BDI: Grundsatzpapier, Raumfahrtpolitik, New Space. Zukunftsmarkt Weltraum, Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie, Berlin 2019, S. 9)
Eine Nebenbemerkung: Im selben Jahr erschien ein Papier des Think Tank „Rand“, der die US-Regierung berät, in dem entwickelt wird, welche Schritte bzw. Maßnahmen einzuleiten seien, um „Russland dazu bringen, in Bereichen oder Regionen zu konkurrieren, in denen die Vereinigten Staaten einen Wettbewerbsvorteil haben, […] um sich militärisch oder wirtschaftlich zu überfordern oder … um innenpolitisches und/oder internationales Prestige und Einfluss zu bringen“(Dobbins, James u. a.: Extending Russia. Competing from Advantageous Ground. RAND Corporation, Santa Monica 2019.)
Derartige Maßnahmen seien
1. die Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine,
2. die verstärkte Unterstützung syrischer Rebellen,
3. die Förderung des Regimewechsels in Belarus,
4. die Ausnutzung von Spannungen im Südkaukasus,
5. die Zurückdrängung Russlands Einfluss in Zentralasien,
6. die In-Frage-Stellung russischer Präsenz in Moldau (ibid., S. 96-136).
Das nach der RAND-Studie erschienene „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (Bundesregierung: Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Berlin 2020) von 2020 sollte durchaus auch in diesem Kontext gelesen werden. Da es eindeutig den BDI-Dokumenten folgt, erfuhr es großes Lob seitens des BDSV, der wie selbstverständlich neue Forderungen erhob und sich über den Sonderbericht der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 „Zeitenwende, Wendezeiten“ („Zeitenwende, Wendezeiten. Sonderausgabe des Munich Security Report zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, Oktober 2020, eigene Hervorhebung) freuen durfte. Dort wird mehr deutsche Führung in Europa gefordert (insbesondere S. 5). Wenige Tage vor dem Beginn Russlands durchaus nicht „nicht provozierten“, aber dennoch scharf zu verurteilenden, großangelegtem militärischen Angriff auf die Ukraine, forderte der BDI auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 „globale Gestaltungsmacht“ zu schaffen ( https://bdi.eu/artikel/news/was-ist-uns-unsere-sicherheit-wert-msc-muenchner-sicherheitskonferenz ). Und wenige Tage nach diesem Angriff demonstrierten BDI und IG Metall gemeinsam Entschlossenheit gegenüber dem Aggressor (BDI/IGM: Gemeinsame Erklärung der IG Metall und des Bundesverbands der Deutschen Industrie, 1.3.2022, Berlin 2022). Die Gewerkschaft als Akteur herrschender Politik? Dass man bereit zur Hochrüstung ist, beweisen insbesondere die im Februar 2024 vom Wirtschaftsforum der SPD, der IG Metall und dem BDI-Mitgliedsverband BDSV unter dem Motto „Souveränität und Resilienz sichern“ veröffentlichten „Industriepolitischen Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ ( www.spd-wirtschaftsforum.de/presse/verteidigungsindustrie-zukunftsfaehig-machen-ig-metall-spd-wirtschaftsforum-und-bdsv-fordern-eigeneindustriepolitik ). Man fordert eine Investitions- und Innovationsoffensive zur Stärkung der deutschen Rüstungsunternehmen. Diese wird offensichtlich realisiert und das „verteidigungspolitische“ Bündnis zwischen BDI und IG Metall wird im Frühjahr 2025 auch offiziell fortgeführt ( https://bdi.eu/themenfelder/wirtschaft-und-gesellschaft/wirtschafts-und-industriepolitik#/publikation/news/gemeinsame-erklaerung-zur-resilienzstudie-igm-und-bdi ).
Das lässt den BDSV erneut frohlocken. Er hatte im Frühjahr 2024 klargestellt, dass „Resilienz“ ein Synonym für „Kriegstüchtigkeit“ ist: (Folie 9).
Quelle: BDSV-Positionspapier Kriegstüchtigkeit braucht „Resilienzwirtschaft“! Der Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ zum Wachrütteln der deutschen Gesellschaft-„Zeitenwende“ ganzheitlich denken, Berlin 20.3.2024, S. 1.
Der BDSV nennt bestimmende Elemente einer solchen „Resilienzwirtschaft“, insbesondere:
A) „Finanzpolitische Ehrlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern … Allein die Bundeswehr benötigt über das Sondervermögen hinaus zwischen 2025 und 2028 nach eigenen Planungen mindestens weitere 100 Mrd. € an Mitteln, um weitere Beschaffungen zu ermöglichen. Die Herstellung „kriegstüchtiger“ Infrastruktur und deren Sicherung gegen mögliche Angriffe (vornehmlich aus den Dimensionen Cyber, Luft und See) sowie die Schaffung von Einrichtungen für einen umfassenden Zivilschutz wird sicherlich nochmals weitere 100 Mrd. € in Anspruch nehmen.“ (Ibid., S. 1-2) Wir denken sofort an das vom Bundestag beschlossene Finanzpaket 2025.
B) „Auflösung des Konflikts zwischen den gesellschaftlichen Zielen von Sicherheit und Nachhaltigkeit. Sicherheit und Nachhaltigkeit sind in Wirklichkeit keine gesellschaftspolitischen Gegensätze. Nachhaltigkeit setzt Sicherheit voraus.“ (Ibid., S. 2) Insbesondere die EU-Direktive REACH müsse schwinden, denn danach ließen „sich bestimmte Hochtechnologie-Rüstungsgüter in der EU nicht mehr herstellen ... Auch müssen wir uns eingestehen, dass militärisches Gerät mit klimaneutralen Treibstoffen oder Antrieben seinen militärischen Zweck in der Regel nicht erfüllen kann. Hier ist es mit einer schlichten Ausnahme für militärische Produkte nicht getan.“ (Ibid.)
Daher sei es seitens der Ampel-Regierung nur konsequent gewesen, „auch das EU-Vorhaben einer ‚Corporate Sustainability Due Diligence Directive‘ (CSDDD) zu stoppen. Nicht zuletzt hätte die CSDDD-Richtlinie allen möglichen NGOs, und damit auch gegnerischen Kräften, weitgehende Möglichkeiten zur Behinderung und Schädigung sicherheits- und verteidigungsindustrieller Maßnahmen an die Hand gegeben.“ (Ibid.)
Und im Koalitionsvertrag finden wir viele Hinweise auf abzusenkende ökologische Standards. Das sollte eine Steilvorlage für uns sein …
4. Zu einigen Schlussfolgerungen
Zunächst liegen einige elementare Herausforderungen auf unserem gemeinsamen Tisch:
- Unterstützung der „Gewerkschafter/innen für den Frieden“ und des „Berliner Appell Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt“ und vieler anderer Friedensinitiativen wie „No Peace. No Climate Justice.“
- Protest gegen die Hochrüstungspolitik der Bundesregierung, der NATO und der EU;
- Kritik, Protest und Auseinandersetzung mit jenen Gewerkschaftsfunktionär:innen und Betriebsrät:innen, die die Regierungs- und Unternehmerpolitik pro Hochrüstung unterstützen und damit die Gewalteskalation – auch und insbesondere gegen die Bevölkerung von Gaza – forcieren.
Dafür und zur Aufklärung des öffentlichen Bewusstseins über die herrschende Politik und die Rolle des BDI/seiner Mitglieder sollten wir auch zwei anstehende Messen nutzen (Folie 10).
In Verbindung mit alledem sollten wir weitergehend einige grundsätzlichere Fragen diskutieren und klären:
- Warum haben wir die von Luxemburg geforderte Beobachtung und Analyse der entscheidenden Gegner nicht konsequent und kontinuierlich ausgeführt?
- Warum haben wir zugelassen, dass unsere Gegner so erstarken?
- Warum waren wir nicht fähig, unsere großen historischen Chancen (Ende der Systemkonkurrenz mit dem Staatssozialismus, globale Finanzkrise, Corona-Pandemie) zu nutzen? Warum haben wir unsere Handlungsbedingungen und damit -möglichkeiten nicht ständig analysiert, zu nutzen und zu erweitern versucht?
Wir sind also fortwährend zu radikaler Selbstkritik gefordert und sollten uns wiederum an Rosa Luxemburg erinnern: „Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung.“ (Luxemburg, Rosa, Die Krise der Sozialdemokratie, in Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke Band 4, Berlin 2000 [1916], S. 53). Während wir an den gestellten Fragen noch lange knabbern werden, könnten wir ein Watch centre bzw. eine Stelle zur Beobachtung des BDI und seiner Mitglieder wohl relativ schnell einrichten. Wir müssten die genauen Aufgaben benennen, sie qualifiziert verteilen, realisieren, die Arbeitsergebnisse austauschen und für alle Beteiligten zugänglich zentralisieren, gemeinsam auswerten, theoretische, konzeptionelle und vor allem politisch-praktische Konsequenzen diskutieren und umsetzen. Selbstverständlich würden wir dabei mit der Informationsstelle Militarisierung e. V. (IMI) kooperieren.
Strategisch wäre die erwähnte „Steilvorlage“ des BDSV zu nutzen. Die Versuche, die „Sicherheits- und Verteidigungs“politik und -industrie zu Nachhaltigkeitszielen bzw. Nachhaltigkeitskriterien zu erheben, verdienen nicht „nur“ offensive Abfuhr. Hier greift der Gegner einen Zusammenhang an, der zentral für uns zentral ist: Es geht um die individuelle und öffentliche Gesundheit, die körperliche und seelische Unversehrtheit der Menschen, die Frieden zur elementaren Voraussetzung haben. Sie haben zugleich eine weitere elementare Voraussetzung: eine funktionierende Biosphäre, die dramatisch zerstört wird durch Krieg und Rüstung, durch die herrschende Produktionsweise mit ihren Produktions-, Wirtschafts- und Konsumtionsstrukturen und durch die mit ihnen verknüpfte gesellschaftliche Lebensweise. Und selbstverständlich hat Gesundheit ebenfalls zugleich eine dritte elementare Voraussetzung: den gesellschaftlichen Umgang mit dem Individuum und so mit seiner Würde und seinen materiellen Lebensbedingungen. Menschen sollen Solidarität erfahren können, Schutz vor Diskriminierung nach ihrer sozialen, ethnischen und kulturellen Herkunft, nach ihrer Stellung im gesellschaftlichen Arbeitsprozess, ihrem Geschlecht und Familienstand, ihrer körperlichen und mentalen Verfasstheit. Gesundheit hängt zusammen mit der individuellen und kollektiven Teilhabe an den politischen Entscheidungen, die das individuelle und gesellschaftliche Leben relevant betreffen, an sinnvoller und daher existenzsichernder, ökologisch verantwortbarer Arbeit, an lebenslanger ganzheitlicher Bildung. Ein Leben in Würde setzt selbstverständlich auch und insbesondere vernünftige Wohnbedingungen in einem attraktiven Wohnumfeld voraus, sozial und ökologisch nachhaltige Mobilität, Prävention, gesundheitliche Betreuung und Pflege auf hohem Niveau.
Diese interessieren den BDI/seine Mitglieder nur selektiv im Kontext mit Profit- und Machtmaximierung. Dafür entwickelt er – wie wir gesehen haben – sehr kreativ immer wieder neue Institutionen. Die Beschäftigung mit ihm und seiner Politik zeigt erneut, wie wichtig und erforderlich es ist, historisch und politökonomisch an Probleme wie den „Ukraine-Krieg“ heranzugehen. Uns sollte ihre Genesis interessieren. Gesellschaftsanalytisch sollte uns interessieren, wie sich die Akteure in ihren Stoffwechselprozessen mit der Natur und in den Verhältnissen untereinander verändern. Die treibenden Interessen der Akteure resultieren aus diesen Verhältnissen, in denen sie Produktionsmittel/Technologien und immer auch Waffen entwickeln, die gesellschaftliche Arbeitsorganisation und die Organisation des Militärs qualifizieren. Seit ca. 150 Jahren gibt es in den USA und Westeuropa keine Notwendigkeit mehr, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt werden durch das Kapitalverhältnis – da die vom Eigentümer an Produktionsmitteln kommandierte und von den Lohnarbeiter/innen erbrachte Produktion von Waren und vor allem von Mehrwert von diesem Eigentümer angeeignet werden. Seit der Verallgemeinerung der Aktiengesellschaften ist der Kapitalist für die Organisation der gesellschaftlichen Produktion überflüssig geworden. Das Fortbestehen und die Fortentwicklung des Kapitalverhältnisses begründen die Herrschaft von Kapitaloligarchien und die fortschreitende Verquickung der Produktion von Produktionsmitteln/Technologien und Waffen bei ebenso fortschreitender Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen.
Das spricht zumindest dafür, das Ringen um individuelle und öffentliche Gesundheit konzeptionell und bündnispolitisch – aber nicht agitatorisch-propagandistisch platt – als Kampf gegen Kapitaloligarchien und Kapitalverhältnisse zu führen. Das bedeutet konkret Kampf gegen die Privatisierung von Gesundheitsbetreuung und Pflege, für gute Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten, für hohe Standards der Gesundheitsleitungen, für hohe ökologische Standards, für Frieden, für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. Der konsequente Marx- und Luxemburg-Anhänger Ernst Bloch sagte einst: „Der Kapitalismus ist ungesund, sogar für Kapitalisten.“
Ende des Vortragsskriptes von Judith Dellheim » Original-Beitrag als PDF
im Vortrag am 21.5.2025 erwähnt:
BDSV-Positionspapier Resilienszwirtschaft März 2024
https://bdsv.eu/Resilienzwirtschaft/resilienzwirtschaft.html?file=files/themen/Resilienzwirtschaft/24-04-18_BDSV%20Positionspapier_Resilienzwirtschaft.pdf&cid=836
MSC-Sonderausgabe 2020 "Zeitenwende/Wendezeiten"
https://securityconference.org/publikationen/msr-special-editions/germany-2020/
Veröffentlichungen von Judith Dellheim:
https://www.rosalux.de/profil/es_detail/1OLBIDXC68/dr-judith-dellheim?cHash=a069e10d8037f4cd4e159e707048d0c7