Der Vorstand des Friedenszentrums besteht aus 5 Mitgliedern, Menschen mit gleichen Zielen aber unterschiedlichen Einstellungen, wie  dieses Ziel erreicht werden kann. An dem  Thema  der aktuellen Israelpolitik gegenüber den Palästinensern konnten wir zu keiner gemeinsamen Aussage kommen. Es ist für unsere Mitglieder und Homepagebesucher dann auch zumutbar, die unterschiedlichen Auffassungen zu lesen, statt sie zuzudecken. Das ist ehrlicher und öffnet die Möglichkeit zu einer Diskussion.

Unser Vorstandsmitglied Burkhard Jäger hat zu dem Newsletter der "Jüdischen Stimme", seine Antwort geschrieben. Wir veröffentlichen sie unter der Überschrift  "Einige Anmerkungen zum Newsletter der „Jüdischen Stimme“ vom 19.06. zu den geplanten Annexionen der israelischen Regierung"

(Elke-Almut Dieter) 

                                    
Einige Anmerkungen zu den geplanten Annexionen der israelischen Regierung                                
                                     
28.6.2020 von Burkhard Jäger

Von vielen Seiten wird derzeit  mit dramatischem Gestus auf die geplante Annexion von Teilen (ca. 30 %) des Westjordanlandes (und hier insbesondere des Jordantals) durch die israelische Regierung hingewiesen; auf eine Entwicklung, die durch den sogenannten Trump-Friedensplan möglich geworden ist. - Dieser sieht vor, dass Israel unter Beibehaltung aller Siedlungen Teile der „Westbank“ annektieren darf. - Auf dem Restgebiet (zu dem auch die Ballungsgebiete gehören würden) könnten die Palästinenser dann einen eigenen Staat bilden. - Dieses Territorium wäre ein Flickenteppich aus vielen Ex- und Enklaven, von seiner ökonomischen Struktur her kaum lebensfähig. -



Ein solcher Akt wäre ein zusätzlicher Faktor der Instabilität in der Region und ein Krisengenerator par excellence. - Vor allen Dingen wohl aus diesen Gründen und weniger aus humanitär-philanthropischen Motiven wird der Plan von der Europäischen Union als mit internationalem Recht nicht vereinbar angesehen und deshalb abgelehnt.

Es ist allerdings festzuhalten, dass der jetzt vernehmbare vehemente Protest von vielen Seiten die Tatsache verschleiert, dass auch ohne den Trump-Plan ein lebensfähiger Palästinenserstaat schon seit langem nicht mehr möglich ist, wie von kompetenten Nahostexperten festgestellt wird. Und insofern ist der alarmistische Grundton, der in diesem Zusammenhang häufig angeschlagen wird, einfach irreführend, da suggeriert wird, man habe den „point of no return“ noch vor sich.

Auch ansonsten bewegt sich der Diskurs bisweilen auf abschüssigem Gelände. Es heißt in einem Papier (das dem FZ vorliegt): „Geredet wird permanent, sowohl zwischen Israelis und Palästinensern als auch der internationalen Gemeinschaft – geschehen tut nichts(Gutes)“. - Hier wird erstens eine Tradition fruchtloser Verhandlungen behauptet, zweitens werden einseitige Verantwortlichkeiten gezeichnet, die mit dem tatsächlichen Geschehen seit dem Oslo-Abkommen und bis zu den gescheiterten Verhandlungen im Rahmen von „Camp David II“  ff. nichts zu tun haben. -

Am 13. September 1993 wurde das Oslo I-Abkommen von Mahmud Abbas, Schimon Peres sowie den Vertretern der USA und Russlands in Anwesenheit von Yitzhak Rabin unterzeichnet. Israel und die PLO erkannten sich damit gegenseitig als Verhandlungspartner an. Die PLO verpflichtete sich, aus ihrer Charta alle Passagen, die die Vernichtung Israels zum Ziel hatten, zu streichen.

Allgemein wurde vereinbart, die Verantwortung im Westjordanland und im Gazastreifen an die Palästinenser zu übertragen. - Sie sollten ihre Angelegenheiten selbstbestimmt regeln können. Der umstrittene Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage sowie die Siedlungen im Westjordanland sollten in weiteren Verhandlungen einer Regelung zugeführt werden. -  Diese Vereinbarung wurde zwar von der israelischen Knesset, bis heute jedoch nicht von der PLO ratifiziert!

In verschiedenen Verhandlungsrunden zwischen den israelischen Regierungen und den Palästinensern wurden die palästinensischen Autonomiegebiete schrittweise bis auf 40 % des Westjordanlandes (und Gaza) ausgeweitet, wobei der Verhandlungsprozess bzw. die erzielten Übereinkünfte immer auch abhängig waren von der politischen Binnenstruktur in beiden Lagern: Der Mord an Ministerpräsident Rabin, Bombenanschläge im israelischen Kernland … zeigten, dass manchen Gruppen und Fraktionen die Ergebnisse nicht weit genug oder aber schon zu weit gingen.

Ein letzter halbwegs erfolgversprechender Versuch, zu einem Abkommen zu gelangen, waren die „Camp David II- ff. - Verhandlungen  2000/01. Der damalige Ministerpräsident Barak bot den
Palästinensern 90 % des Westjordanlandes plus 10 % im Austausch mit israelischem Staatsgebiet
sowie im Jahre 2001 zusätzlich noch die vollständige Verwaltung Ost-Jerusalems und den Verzicht Israels auf die militärische Kontrolle des Jordantales. -  Die Verhandlungen scheiterten, weil aus palästinensischer Sicht keine befriedigende Lösung bei der gemeinsamen Kontrolle des Tempelberges gefunden werden konnte. - Außerdem forderten sie ein grundsätzliches Rückkehrrecht für die Palästinenser in die von ihnen 1948 verlassenen Gebiete auf dem heutigen Staatsgebiet Israels. Die israelische Seite wiederum verwies darauf, dass sie 850.000 aus arabischen Ländern seit 1948 vertriebene orientalische Juden aufgenommen hat, die Vertreibung der Palästinenser eine Folge des Angriffes aller umliegenden arabischen Staaten auf das israelische Territorium gewesen war, obwohl die Israelis den Teilungsplan der UNO von 1947 angenommen hatten; ebenso darauf, dass die Erfüllung einer solchen Forderung die Grundlagen des Staates unterminieren würde. -

Das Scheitern der Verhandlungen hatte die Zweite Intifada zur Folge, die bis 2005 andauerte und nach massiven Anschlägen im israelischen Kernland zum Bau der bekannten Sperranlagen führte.

Es muss festgestellt werden: Spätestens seit 2001 gibt es objektiv keine Aussicht mehr darauf, einen lebensfähigen palästinensischen Staat schaffen zu können. Festzuhalten ist auch, dass die in diesem Zusammenhang oft behauptete  permanente Intransigenz der israelischen Seite schlicht falsch ist; dass umgekehrt das Insistieren auf unrealistischen und ganz offensichtlich nicht durchsetzbaren Maximalpositionen auf palästinensischer Seite das damals noch Mögliche heute unmöglich gemacht hat.

Die Aufforderung von manchen Seiten  u. a. an Deutschland, den Handel, den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch … mit Israel einzustellen, negiert auch, dass das in den besetzten Gebieten  mittlerweile erreichte Niveau an struktureller und aktueller Gewalt durch eine solche Maßnahme sicher nicht abgebaut wird. - Ebenso wird verkannt, dass es „die“ palästinensische Seite mittlerweile gar nicht mehr gibt, sondern mit der Hamas eine Fraktion auf den Plan getreten ist, die ohne Wenn und Aber die Vernichtung Israels fordert. - Es ist vielleicht wenig bekannt, dass diese Organisation in Artikel 2 ihrer Charta allen Ernstes behauptet, der Zionismus wolle – wie es die “Protokolle der Weisen von Zion“ bewiesen – ganz Arabien und dann die Welt erobern, die Juden kontrollierten die weltweite Meinungsbildung mit ihren finanziellen Mitteln, seien die Verursacher beider Weltkriege und und stünden als Drahtzieher hinter allen Kriegen auf der Welt (Artikel 22).

Damit sollen die repressiven Bedingungen, unter denen viele Palästinenser in den besetzten Gebieten leben, nicht beschönigt werden; ebenso wenig soll der offensichtlich völkerrechtswidrige Charakter der geplanten Annexionen relativiert werden. (Es wäre im wohlverstandenen Eigeninteresse Israels, hiervon Abstand zu nehmen, da ihre Durchführung das Land diplomatisch weiter isolieren könnte. In Kombination mit den auch anderen Orts „entkoppelten“ Verhältnissen im Nahen und Mittleren Osten würde hier zusätzlicher Zündstoff angehäuft werden).  

Das steht hier nicht in Zweifel. Anders steht es allerdings um die Grundtendenz solcher und ähnlicher Narrative. Tendenziell wird eine einseitige „Täter-Opfer“-Relation konstituiert, die  nicht nur die realen Ereignisse der letzten 30 Jahre verzerrt wahrnimmt, sondern ebenso implizit auch jene vor 1948.  (Das soll an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden). Hier wird eine selektive Wahrnehmung exekutiert, die objektiv geschichtsklitternd wirkt. Solche Ansätze sind kein Beitrag  zu Aufklärung und Information, sondern einer Agitation, die ihren selbst gesetzten Zwecken einen schlechten Dienst erweist.


















 




Burkhard Jäger