Am 1. September 2017 fand die traditionelle DGB-Veranstaltung zum Antikriegstag wieder am Friedhof SZ-Jammertal statt. Der IGM-Bezirks-Vorsitzende Thorsten Groeger hat dort eine sehr gute Rede gehalten. Das Friedenszentrum bat um die Erlaubnis diese Rede auf www.friedenszentrum.info veröffentlichen zu dürfen. Hier ist sie. Vielen Dank dafür.

Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus
Rede zum Antikriegstag 2017, 1. September 2017, 17 Uhr. Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof Jammertal in Salzgitter-Lebensstedt
Thorsten Groeger, IG Metall-Bezirksleiter Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

(Es gilt das gesprochene Wort)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren

Der Anlass des heutigen Gedenktages ist der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Ein Krieg, den das Deutsche Reich als verbrecherischen Eroberungskrieg geführt hat, mit der Absicht, ganze Bevölkerungsgruppen zu vernichten.

Auch heute, 78 Jahre nach dem Angriff auf Polen, ist es nach wie vor dringend nötig, die Erinnerung wach zu halten. Der Zweite Weltkrieg steht wie kein anderer für die Grauen des Krieges, für die kriegerische Aggression, mit der Europa überzogen wurde und für die grausame und kalte Vernichtungsabsicht, den fürchterlichen und in der Geschichte beispiellosen Völkermord der Nazis. In den Worten von Bertolt Brecht „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es am Ende nicht einmal zu wenig gesagt wurde“.

Der Krieg bringt die hässlichste Seite des Menschen zum Vorschein, hier zeigt sich, zu welchen Grausamkeiten Menschen angestachelt werden können.

Oder, wie die Frauenrechtlerin und Pazifistin Helene Stöcker es ausgedrückt hat, die den Antikriegstag ebenfalls über lange Jahre unterstützt hat: „Ein merkwürdiges Zeichen der geringen Selbstachtung des Menschen ist es, dass er es bisher sich hat gefallen lassen, von seinen Regierungen und herrschenden Klassen als Kanonenfutter, als Kriegsmaterial, das man dem Feind entgegenwirft, benutzt, missbraucht und zerstört zu werden." In den Massenkriegen des letzten Jahrhunderts wurden ganze Generationen der männlichen Bevölkerung in Uniformen gesteckt und aufeinandergehetzt mit der trügerischen Aussicht, zum Helden zu werden.

Frieden war in der europäischen Geschichte die Ausnahme. Ständig gab es Auseinandersetzungen, kriegerische Konflikte mit zahlreichen Beteiligten. Alleine im Zwanzigsten Jahrhundert gab es in Europa mehrere Balkankriege, zwei Weltkriege, Unabhängigkeits- und Bürgerkriege in Irland, Russland, dem Baltikum, Spanien, Österreich, Griechenland. Viele europäische Konfliktherde sind auch heute noch nicht völlig befriedet, dazu zählen Zypern, der Kosovo und die Ukraine.

Krieg hat viele Gesichter. Die Schützengräben im Ersten Weltkrieg, Trümmerlandschaften und zerbombte Städte, das Elend der Zivilbevölkerung. Die Atompilze von Hiroshima und Nagasaki, brennende Ölfelder im Irak, weinende Kinder in Syrien. Orte, die mit Krieg in Verbindung gebracht werden, die sinnbildlich für Zerstörung und das Grauen des Krieges stehen: Verdun, Guernica, Stalingrad.

Klar ist: Vergessen darf es nicht geben. Die schrecklichen Tragödien der Vergangenheit müssen uns Mahnung und Lehre für das Heute und die Zukunft sein. Das Bewusstsein für die Geschichte muss bewahrt werden.

Doch ich bin mir sicher, dass die Auseinandersetzung, insbesondere mit der deutschen Vergangenheit, bei den jungen und jüngeren Menschen nach wie vor wach ist. Bei denen, und die das Glück hatten, keinen Krieg am eigenen Leibe erfahren zu müssen. Eure Beteiligung an der heutigen Veranstaltung unterstreicht diesen Eindruck großer Betroffenheit und Bereitschaft, die Erinnerung wach zu halten und diese Bereitschaft auch aktiv nach Draußen zu tragen.

Die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte sollte aber nicht alleine persönlichen Neigungen und Interessen überlassen sein. Es sollte wesentlich stärker im Schulunterricht verankert sein, sich mit dem Thema Nationalsozialismus oder mit der kriegerischen Geschichte Europas zu befassen. Das trägt entscheidend zur politischen Bildung bei, festigt die Demokratie und ist ein wichtiges Element gegen rechte Menschenfänger, die leider wieder verstärkt ihr Unwesen treiben, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht einmal eine Woche her, dass nicht weit weg von hier, in Peine, Schauwände einer Ausstellung des VVN-BdA mit Pegida-Aufklebern verunstaltet wurden. Zwar haben die Kollegen die Aufkleber wieder gut runtergekriegt, aber es ist schon sehr ärgerlich, was da passiert ist. Gerade in Zeiten des grassierenden Rechtspopulismus, der verbreiteten Geringschätzung gegenüber der Europäischen Union, in Zeiten des Brexit scheint es umso wichtiger, auch die Errungenschaften der Europäischen Einigung zu würdigen.

Sicher, es gibt vieles zu kritisieren, von einer sozialen Ausgestaltung ist die Europäische Einigung noch weit entfernt. Es gibt einiges zu verbessern. Doch auch wenn uns die EU zu Recht wie ein neoliberales Elitenprojekt erscheint, sollten wir nicht vergessen, dass sich Deutschland und Frankreich vor nicht einmal achtzig Jahren als unversöhnliche „Erzfeinde“ gegenüberstanden, mit zahlreichen Waffengängen und mehreren Millionen Toten. Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen. Vorher hatte sich das Deutsche Reich bereits Österreich, die Tschechoslowakei und das Memelland im Baltikum einverleibt.

Der deutschen Armee ging es hier nicht nur um die kriegerische Eroberung des Landes.

Nazideutschland führte einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Sogenannte „Einsatzgruppen“, bestehend aus Polizei und SS, hatten das Ziel, hinter der Front zu operieren und Polen und Juden aufzuspüren, zu vertreiben und zu töten. Die Begriffe, die hierfür im internen Dienstverkehr verwendet wurden, zeigen offen die Menschenverachtung, mit der diese Verbrechen begangen wurden: „Polizeiwalze hinter der Front“, „Bereinigung der Zivilbevölkerung“, mögliche „Widerstandkämpfer erledigen“, „aufräumen“, „Bandenbekämpfung“.

All diese Verbrechen wurden dokumentiert, sie fanden in der Regel nicht im Verborgenen statt. So berichtet ein Soldat von Erschießungen am 4. September 1939, vier Tage nach Beginn des Krieges, im polnischen Ort Schwetz, vor den Augen von mehr als 200 anwesenden Soldaten. Der offizielle Bericht zeigt die kalte Grausamkeit. Ich zitiere: „Wir sahen dann, wie eine Gruppe von einer Frau und drei Kindern, die Kinder im Alter von etwa 3-8 Jahren, vor dem Omnibus zu einem ausgeschaufelten Grab von etwa zwei Metern Breite und 8 Metern Länge geführt wurden. Die Frau musste in dieses Grab hineinsteigen und nahm dabei ihr jüngstes Kind auf dem Arm mit. Die beiden anderen Kinder wurden ihr von zwei Männern des Exekutionskommandos gereicht. Die Frau musste sich bäuchlings, mit dem Gesicht zur Erde flach ins Grab legen, ihre drei Kinder zur Linken in derselben Weise angereiht. Danach stiegen vier Mann des Kommandos ebenfalls ins Grab, legten ihre Gewehre so an, dass die Mündung der Gewehre etwa 30 Zentimeter vom Genick entfernt waren und erschossen auf diese Weise die Frau mit ihren drei Kindern.“

Diese Grausamkeiten wurden auch am Schreibtisch vorbereitet. Der „Generalplan Ost“, der im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Reichsicherheitshauptamt ersonnen wurde, zeigt die volle Monstrosität des Nazi-Wunschdenkens. Im „Generalplan Ost“ wurde vorgerechnet, dass rund 10 Millionen Deutsche auf dem Gebiet der Sowjetunion angesiedelt werden sollten. Im Amt kamen die Planer zu dem Schluss, dass dafür 45 Millionen Menschen „ausgesiedelt“ werden sollten. An anderer Stelle lautete die Formulierung „Verschrottung“ der „rassisch unerwünschten Teile der Bevölkerung“.

Was damit gemeint war, wurde zum Beispiel auf einer Tagung in Salzburg im September 1942 deutlich ausgesprochen: Der Referent des Amts rechnete vor, dass im deutschen Machtbereich 70 Millionen Menschen leben, die anderen Völkern zu zurechnen sind. Von der vollständigen Vernichtung der europäischen Juden ging der Referent zu diesem Zeitpunkt bereits aus, sie spielten in seinen Berechnungen schon keine Rolle mehr.

Für die 70 Millionen Angehörigen dieser osteuropäischen Völker nannte der Referent vier Möglichkeiten des Umgangs: Anpassung oder „Eindeutschung“, was auch immer das heißen mag, Versklavung in Zwangsarbeit, Vertreibung und „physische Vernichtung“.

Ich finde es sehr wichtig, das Bewusstsein wach zu halten nicht nur für die historischen Vorgänge, die mit diesem verbrecherischen Krieg in Verbindung stehen, sondern auch für die dahinterstehende Gesinnung und die Sprache der Täter.

Einige Formulierungen wirken heute wieder erschreckend vertraut, wenn beispielsweise ein Herr Gauland von der AfD öffentlich fordert, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in „Anatolien“ zu „entsorgen“. Geschichte darf sich nicht wiederholen, hier müssen wir alle sehr aufmerksam sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier braucht es, wie Otto Brenner schon gefordert hat „Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.“

Diese demokratische Wachsamkeit ist heute wichtiger denn je. In drei Wochen ist Bundestagswahl. Bei der bevorstehenden Bundestagswahl droht uns der Einzug einer offen fremdenfeindlichen Partei ins Parlament. Übrigens erstmals in der Geschichte der Budnesrepublik. Demokratische Wachsamkeit gebührt auch der Rolle der Bundeswehr. In der Vergangenheit hatte das deutsche Militär eine Rolle als Staat im Staate. Im Kaiserreich war es im Grunde der Staat, er verkörperte den preußischen Obrigkeitsstaat, auch nach innen. Das Militär wurde häufig auch gegen streikende oder demonstrierende Arbeiter eingesetzt.

Diese „Tradition“ setzten die Freikorps, die Reichswehr der Weimarer Republik und auch die Wehrmacht der Nazis fort. Heute herrscht teilweise in der Bundeswehr eine merkwürdige Traditionspflege, was den Umgang mit der deutschen Militärgeschichte angeht. Es darf nicht sein, dass in den Kasernen weiterhin menschenverachtende und demütigende Aufnahmerituale veranstaltet, Nazilieder gesungen und Wehrmachts-Devotionalien ausgestellt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Zeiten der Blockkonfrontation war die strategische Überlegung, einem möglichen Angriff der Sowjetunion zu begegnen. Alle Szenarien kamen im Kalten Krieg zu dem Ergebnis, dass eine der beteiligten Kriegsparteien irgendwann auf den roten Knopf drückt und Atombomben einsetzt.

Dieser Einsatz von Atomwaffen hat in der Geschichte bereits zweimal stattgefunden, in Hiroshima und Nagasaki. Die Waffen, die sich heute in den Arsenalen der Atomstaaten befinden, verfügen über ein vielfaches der Vernichtungskraft dieser Bomben, die zwei Großstädte komplett dem Erdboden gleichgemacht haben. Theoretisch sind sie in der Lage, den gesamten Erdball zig mal zu vernichten.

Auch der Bestand an Schusswaffen hat weltweit zugenommen. Auch die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte ist weltweit nicht geringer geworden. Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung nennt derzeit 32 anhaltende Kriege und Konflikte.

Hinter den meisten Kriegen stecken handfeste wirtschaftliche und geopolitische Interessen: Zugang zu Rohstoffen, zu strategisch wichtigen Punkten wie Häfen oder Verkehrswege. Und es geht häufig darum, der eigenen Bevölkerung ein Gefühl von Stärke zu vermitteln und somit die eigene Herrschaft zu stützen.

Im deutschen Kaiserreich war die Rede davon, sich einen „Platz an der Sonne zu sichern“. Diese Rhetorik wird auch heute wieder gefährlich offen eingesetzt.

„Make America great again!“ ist so ein Schlagwort, dahinter stehen die Tendenz zur Abschottung und die Bereitschaft zur Aggression gegenüber allen anderen, die nicht dazu gehören. Genauso wie „Deutschland den Deutschen“.

Aus „Wirtschaftskriegen“ werden kriegerische Auseinandersetzungen, mit Blutvergießen und Zerstörung. Wenn wir uns also heute hier versammeln, um unsere Stimmen gegen den Krieg zu erheben, müssen wir uns also auch mit der Frage beschäftigen, wie eine Welt ohne Kriege aussehen soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen und wollen eine offene Welt, eine offene Gesellschaft. Mit dem freien Austausch von Waren, Arbeitskräften du Ideen. Dieser Austausch darf nicht allein von Profitinteressen beherrscht und von den Kräften des Marktes diktiert werden.

Wir brauchen fairen Handel, der soziale Standards und gute Arbeitsbedingungen schützt und die rücksichtslose Ausplünderung von Mensch und Natur verhindert. Die europäische Idee bedeutet Frieden, sozialen Fortschritt, gemeinsamen Wohlstand und Kampf gegen Armut. Ziele, denen sich die Staaten verschrieben haben, die sich in den Weltkriegen noch gegenseitig bekämpft haben. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Wir sehen stattdessen Kleinstaaterei und nationalen Egoismus. Wir brauchen ein anderes Europa, ein faires, ein solidarisches, ein soziales Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Umso wichtiger ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erinnerung an die schrecklichen Kriege der Vergangenheit am Leben zu erhalten. Im Sinne von Bertolt Brecht: „Lass uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde“.

Ich möchte zum Schluss meiner Rede aus dem Gedicht „Drei Minuten Gehör“* von Kurt Tucholsky zitieren:

"Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten! Keine Monokel-Potentaten! Keine Orden! Keine Spaliere! Keine Reserveoffiziere! Ihr seid die Zukunft! Euer das Land! Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband! Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei! Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei! Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg! – Nie wieder Krieg –!"

Vielen Dank

 


* zum Gedicht von Tucholsky