von Burkhard Jäger
Am 08.04. hat die seit November 2017 im Altstadtrathaus gezeigte Ausstellung „Sonst geht’s uns gut. Braunschweiger Biographien 1916“ ihre Pforten geschlossen. - Zeit also, ein Fazit zu ziehen.
„Die Ausstellung möchte an den Alltag dieser Kriegsjahre in Braunschweig erinnern“, so der im Ausstellungsflyer formulierte Anspruch der Organisatoren.- Das Jahr 1916 habe man als chronologischen Ankerpunkt gewählt, „...weil es mittendrin im Krieg war. Die Menschen wussten, was passiert, aber sie wussten nicht was wird“, so Heidemarie Anderlik, die stellvertretende Direktorin des Museums und Kuratorin. - (Man wird vielleicht nicht fehlgehen in der Annahme, dass das Jahr 1916 auch gewählt wurde, weil dies ein Weichen stellendes Jahr gewesen ist; innen- und auch außenpolitisch: Die autoritäre Formierung der deutschen Wirtschaft im Interesse der Kriegswirtschaft („Hilfsdienstgesetz“), flächendeckende Hungerkrisen („Steckrübenwinter“), militärische Stagnation (Schlachten an der Somme und bei Verdun...), die organisatorische Formierung einer radikalen Opposition innerhalb der SPD (Spartakusgruppe) …
Im Mittelpunkt jedoch, so suggerierte es der Titel des Ausstellung und so transportierten es auch die Stellungnahmen der Verantwortlichen, sollte die Rezeption dieser weltumwälzenden Ereignisse durch die „ganz normalen Menschen“ stehen: Soldaten, BraunschweigerInnen aus Bürgertum und ArbeiterInnenschaft, …
Wie wurde dieser Anspruch umgesetzt? - Am Eingang zur Ausstellung wurde man zunächst mit einer großen Leinwand konfrontiert (und damit auch schon in gewisser Weise konditioniert), die wenig „Alltägliches“ zeigte: Ein Dauerfilm präsentierte: „Unser Prinzenpaar lässt sich für die Wochenschau filmen.“ Durch entsprechende Zwischentitel gegliedert, sah man: in Kutschen einsteigende Majestäten, huldvoll winkend und lächelnd, buckelnde Lakaien, knicksende Hofdamen; auf dem Bohlweg vor dem Schloss ein Meer von blütenweißen Taschentüchern, das von einer jubelnden Menschenmenge bewegt wird. - Schnitt: Wilhelm II und der Herzog von Braunschweig in einer Gruppe von Hochadligen und Militärs, sich angeregt unterhaltend, vorbei marschierende Militärformationen … So ging es noch eine ganze Weile fort. -
Von links hörte man die Klänge des preußischen Präsentiermarsches , wo auf einer zweiten ebenso großen Leinwand – im Wechsel verschiedener Standfotos auch die Kriegsproklamation des Kaisers zu hören war. Auf diesem Bilderreigen waren repräsentative Bilder von Wilhelm II, Karten von sich ändernden Frontverläufen und Schlachten (Tannenberg) sowie der Auszug jubelnder Deutscher „in´s Feld“ zu sehen. Danach: „Lüttich im Sturm genommen“, … Als Schlussbild: „Es starben den Heldentod … „ - offensichtlich die Inschrift eines Kriegerdenkmals, das nicht allzulange nach 1918 errichtet worden ist. - Man bekam den Eindruck: Alle Deutschen sind dem Kaiser begeistert gefolgt. - Kein Wort, keine Bezugnahme darauf, dass es noch Ende Juli 1914 massenhafte Antikriegsdemonstrationen in Deutschland (und nicht nur hier, sondern u. a. auch in Frankreich und Großbritannien) gegeben hat. - Allein in Deutschland: 288 Versammlungen und Aufmärsche in rund 160 Städten; mir einer Beteiligung in Berlin von 100 000 Menschen.
Eine/e wohlwollende BetrachterIn wird hier die Absicht vermuten, dass hier ein Kontrapunkt zum vermuteten kriegskritischen Gehalt im Hauptraum der Ausstellung gesetzt werden sollte. - Die mediale Wucht, mit der die/der geneigte BesucherIn schon hier konfrontiert wurde, ließ am Erfolg einer solchen Absicht allerdings schon hier zweifeln.
Zwischen den Bildschirmen: Eine Hinweistafel, die Hintergrundinformationen zu den Ursachen des Weltkrieges geben sollte: „Vor dem 1. Weltkrieg gab es zwischen den europäischen Reichen politische und militärische Spannungen...“ Man wurde weiterhin darüber informiert, dass konträre Interessen und Weltmachtansprüche das kriegerische Potenzial der bestehenden Bündnisse zur Entladung gebracht hätten. - Das ist ein bisschen vage und ignoriert die konkreten Dynamiken, die am Vorabend des Krieges virulent wurden („Blankovollmacht“ Bethmann-Hollwegs, die Gründe für die spezifische Expansionsdynamik des Deutschen Reiches, …). - So allgemein gefasst war diese Information geeignet, die Ursachen für fast jeden „x-beliebigen“ Konflikt in der Weltgeschichte zu beleuchten. - Die spezifische Qualität des 1. WK als des ersten hochtechnisierten Massenmordens der Geschichte blieb so außen vor!
Im Innenraum passierte man u.a.: eine Vitrine mit Soldatenfiguren, einen Liedtext („Lieb´Vaterland magst ruhig sein.“), kurze Zitate aus Feldpostbriefen, Militaria, Feldpostkarten (mit Texten unterschiedlicher Tendenz; zum Kriegsende hin natürlich skeptischer werdend), Illustrationen, die die kriegerische Konversion von Industrieprodukten zeigten (Büssing: Busse zu Panzerspähwagen),
dann: eine offizielle Karte, die die Orte der von deutschen U-Booten versenkten Feindschiffe akribisch vermerkt, militärische Optik von Voigtländer. - „Geschütze statt Maschinen“; immerhin mit einem Hinweis auf das „Hilfsdienstgesetz“ von 1916. - Bilder von der Front, die offensichtlich zwischen Gefechtspausen aufgenommen worden waren und deshalb eher wie ein Gulaschkanonenidyll wirkten. - Als Kontrapunkt hätten sich hier einschlägige Aufnahmen aus dem Antikriegsmuseum empfohlen.
An der gegenüberliegenden Wand Bilder aus Lazaretten, Frauen, die im Rahmen der „Vaterlandshilfe“ tätig waren, ein einen Braunschweiger Badeteich zeigendes Gemälde. - Dieser Teil ist offensichtlich den Frauen aus dem Bürgertum gewidmet, die sich in dieser Zeit karitativ und künstlerisch betätigten (stellvertretend: Käthe Bucher). -
Gegen Ende des (im Uhrzeigersinn getätigten) Rundganges: Hinweise auf die in Folge des Krieges katastrophale Versorgungslage, Unruhen, SPD-Abgeordnete, ein Adressenverzeichnis der Metallarbeitergewerkschaft, eine Ausgabe des „Volksfreund“, Sepp Oerter, ein Bild, das eine Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft o. ä. zeigt, ein kurzer Hinweis auf Auseinandersetzungen innerhalb der SPD... ein Hinweis auf das Dreiklassenwahlrecht, ….Forderungen nach einer qualitativen Änderung der Verhältnisse.
Dieser Ausstellungsteil war besser als nichts, aber man muss hier die Proportionen (auch die medialen) im Auge behalten: Die Teile der Ausstellung, die die Requisiten des Krieges, seine propagandistische Darstellung durch die Oberste Heeresleitung (in Form von Filmen), auch: die Rezeption durch die „einfachen Soldaten“ in Form von Feldpostbriefen und -karten (in der Mitte des Ausstellungsraumes zum „Mithören“) dokumentierten, waren Chiffren, die - vorsichtig ausgedrückt - nicht unbedingt eindeutig zu entschlüsseln, in ihrem interpretatorischen Gehalt zumindest ambivalent waren.
Dieser Eindruck verdichtete sich in einem schwarzen „Separée“, in dem ein Dauerfilm der OHL repetiert: „Bei unseren Helden an der Somme“. - Man sieht deutsche Soldaten vor der Kulisse der „von den Feinden angerichteten Zerstörungen“ agieren. - Dieser Propagandafilm sollte offensichtlich durch ein von Ernst Busch gesungenes Brechtsches Lied: „Die Legende vom toten Soldaten“, gekontert werden. - Die Komplexität des Textes, seine beklemmende Metaphorik, konnte allerdings mit der Macht der Bilder des Propagandafilms in keiner Weise konkurrieren.
Diese Disparität zwischen der Wucht der (Film-)Bilder und eines Teils der Texte war konstitutiv für die gesamte Ausstellung. - Die mediale Dominanz der damals herrschenden Gewalten, die den Adressaten ihre Produkte einen ganz bestimmten Perspektivenkorridor aufzwangen, reproduzierte sich leider auch in dieser Ausstellung. Und sie gab auch den schriftlichen, akustischen und sonstigen dinglichen Exponaten, die nicht ganz offensichtliche „systemkritisch“ waren, eine ganz bestimmte Wirkungsqualität. - Mit anderen Worten: Mit den auf Zelluloid festgehaltenen Majestäten sowie den „Helden an der Somme“ können weder die – relativ - knappen schriftlichen und fotografischen Hinweise auf Hungerkrisen, Opposition gegen den Krieg, die in den Feldpostbriefen der Soldaten geschilderten Nöte … mithalten.
Zu vermissen war ebenfalls ein „roter Faden“, der das Ineinandergreifen der in jener Zeit wirksamen ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen, sozialen und militärischen Gewalten, Faktoren und Strömungen deutlich macht. - Das den Alltag dieser Kriegsjahre strukturierende Prinzip bleibt letztlich im Dunklen, die aufgezeigten oder suggerierten Widersprüche werden in ihrem Bedingungszusammenhang nicht aufgezeigt. - Damit ist der Anspruch, im Spiegel Braunschweiger Biographien einen aufklärerischen „Mehrwert“ zu bieten, nicht eingelöst worden.