Ostermarsch 2022 – Bündnis "Bunt statt Braun" in Gifhorn 16.04.2022

Im März hat das Bündnis „BUNT STATT BRAUN“ das Friedenszentrum angeschrieben und um einen Redebeitrag beim Ostermarsch vor Ort gebeten. Wir veröffentlichen hier den Text:



Liebe Friedensfreunde,

wir, Hubert Schipmann und ich, Gabriele Canstein, vom Friedenszentrum Braunschweig danken Euch für die Einladung, hier beim Ostermarsch in Gifhorn einige Worte sagen zu können.

Ja, was gibt es zu sagen und zu fragen in dieser Zeit?

Sind unsere Bemühungen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, Krisen rechtzeitig zu erkennen und einzudämmen fehlgeschlagen?
Sind unsere Bemühungen, Ziele für ein friedliches Zusammenleben der Völker und der eigenen Gesellschaft zu verwirklichen, zukünftig ohne Belang?

Wäre der Krieg verhindert worden, wenn die Ukraine stärker aufgerüstet gewesen wäre?

Ende Februar hat mich selbst das Gefühl beherrscht, dass unsere Arbeit für den Frieden vergeblich gewesen ist. Aber dann haben im Friedenszentrum die Vorbereitungen auf den Ostermarsch begonnen. Ursprünglich ein Zeichen der Ablehnung von Atomwaffen, ein Zeichen gegen die atomare Bewaffnung während des Kalten Krieges. In diesem Jahr sind die Ostermärsche besonders wichtig, um ein Zeichen dafür zu geben, dass die Friedensbewegung lebt und die einzelnen Friedensgruppen weiterhin auf das Ziel hinarbeiten, friedliche und stabile Verhältnisse zu schaffen, in denen Konflikte gewaltfrei gelöst werden.

Aber wie kann dieser Zustand erreicht werden?
Wie können beispielsweise die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, die die  Bundesregierung 2017 formuliert hat, umgesetzt werden?

Wir sind gebeten worden, über das Projekt „Sicherheit neu denken“ zu sprechen.

Das Projekt ist auf Initiative der badischen Landeskirche entwickelt worden.

Die Inititiative „Sicherheit neu denken“ wurde auch durch eine amerikanische Studie aus dem Jahre 2011 angeregt.

Vor der Studie hatte die Politik-Wissenschaftlerin Erica Chenoweth die Ansicht, dass Gewalt besser beim Erreichen von Zielen geeignet ist.

Sie fand drei Haltungen dazu:

1. Bewaffneter Widerstand funktioniert und je gewaltsamer er ist, umso effektiver ist er.
2. Gewalt funktioniert nicht, aber sie bewirkt mehr als Gewaltfreiheit.
3. Bewaffneter Widerstand ist notwendig, um schwierige Anforderungen zu bewältigen oder um mächtige unterdrückende, autoritäre Gegner zu besiegen.

Mit einer Kollegin ( Maria J. Stephan) untersuchte sie alle Aufstände oder Revolutionen zwischen 1900 und 2006 (insgesamt 323 Fälle, davon waren 105 gewaltfrei und 218 bewaffnet).

Ergebnis u.a.
Gewaltfreie Kampagnen sind fast doppelt so erfolgreich wie bewaffnete Kämpfe
50 % Erfolg bei Gewaltfreiheit, 25% Erfolg mit Waffen

Das Ergebnisse der Untersuchung verblüfften die Wissenschaftlerinnen, da sie weder ihren Erwartungen entsprachen, noch dem bisherigen Stand der Wissenschaft:


Seit 2013 hat eine Arbeitsgruppe nach Möglichkeiten gesucht, Sicherheit anders zu konzipieren als bisher. Daraus hat sich bis 2018 ein Szenario entwickelt, das den Weg von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik beschreibt. Bis zum Jahr 2040 soll sich die Sicherheitspolitik in Deutschland ändern von der militärischen Friedenssicherung durch Panzer, Bomben etc. hin zu einer zivilen Friedenssicherung. Dabei sollen bereits erprobte und realisierte Alternativen angewendet werden. Ziel ist es, sich untereinander kooperativ zu verhalten und das Wohlergehen aller Menschen und der Natur zu fördern. Es geht um unsere gemeinsame Sicherheit. Heute wird das Projekt von einem Koordinierungskreis mit 17 Personen aus verschiedenen Organisationen betreut und weiterentwickelt. Sprecher des Kreises ist Ralf Becker.

Die Schritte und Etappen auf dem Weg, bis zum Jahr 2040 auf das Militär verzichten zu können, werden fünf Politikfeldern zugeordnet (s. Flyer):

1. die Entwicklung einer starken Demokratie, die Krisen ohne Gewaltanwendung beilegt,
(Friedensbildung, Mediationszentren, zivile Friedensdienste, Einüben von zivilem Widerstand)

2. ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechte Außenbeziehungen,
(globale soziale Marktwirtschaft, fairer Rohstoffhandel, klimaverträglicher Lebensstil, stärkere Beiträge in UN-Entwicklungs-/Ernährungsfonds)

3. Förderung nachhaltiger Entwicklung der EU-Anrainerstaaten,
(Ausbau der Beziehungen zu Ländern Afrikas und des Nahen Ostens, Stärkung regionaler Sicherheitsarchitekturen, stabile Wirtschaftszone EU-Russland)

4. Investitionen in eine starke UNO und OSZE-Präsenz statt in die Bundeswehr,
(gemeinsame Sicherheit durch friedenslogische Politik, Aufbau europäischer Polizei, zivile Rolle in der NATO, Stärkung der UNO)

5. Konversion von Bundeswehr und Rüstungsindustrie.
(Evaluation militärischer und ziviler Verteidigung, Transformation der Bundeswehr in ein internationales THW und internationale Polizei, Konversion der Rüstungsindustrie und Abzug der Atomwaffen)

Es werden zeitliche Vorgaben gemacht, wann ein bestimmtes Ziel verwirklicht wird, z.B. sollte 2025 mit dem konsequenten Umstieg auf zivile Sicherheitspolitik begonnen werden.
Dies sind die Grundzüge des Konzeptes „Sicherheit neu denken“. Der Koordinierungskreis hat es  bereits an Bundestagsabgeordnete und Führungskräfte bei Bundeswehr und Polizei herangetragen und vielfach ein positives Echo bekommen. Nun soll es auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, damit der vorherrschende Mythos von der „schützenden Wirksamkeit von militärischer Gewalt“ (Janika Hoppe,3/2020) abgebaut werden kann zugunsten der Alternativen, die es gibt, die aber noch viel zu wenig bekannt sind.

Oft ist zu hören, Deutschland solle mehr Verantwortung übernehmen und seine Fähigkeiten zu militärischen Eingriffen verstärken. Die Initiative „Sicherheit neu denken“ schlägt einen Perspektivwechsel vor. In einem ersten Schritt sollen jährlich 10% des Verteidungshaushaltes „für einen Auf- und Ausbauplan zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention“ ausgegeben werden.

Der Koordinierungskreis entwickelt das Konzept inhaltlich weiter und passt es den aktuellen Erfordernissen an.  Er hat jetzt  jetzt das Impulspapier „Für eine entschlossene und besonnene Reaktion auf Putins Krieg“ veröffentlicht.

Neben diesem positiven Szenario gibt es negative Szenarien, die darstellen, was geschieht, wenn alles bleibt wie bisher, oder sich verschlimmert, beispielsweise bei steigenden Militärausgaben und zunehmender Militarisierung. Leider ist die aktuelle politische Situation ähnlich der, die im Negativszenario „Nahe am Abgrund“ dargestellt wird.

Wir alle wissen nicht, wie der Ukraine-Russland-Konflikt sich entwickeln und wie er gelöst wird. Aber es wird ein danach geben. Dann sollte eine friedliche, gewaltfreie Sicherheitsordnung angestrebt werden. Das Konzept „Sicherheit neu denken“ bietet viele Ansätze zu einer zivilen Sicherheitspolitik. Deshalb lohnt es sich in jedem Fall, sich damit zu beschäftigen. Dieses Konzept in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, ist meiner Meinung nach die große Aufgabe für die Friedensbewegung in dieser Zeit.

Wer mehr über das Szenario wissen möchte, kann sich in dem Flyer informieren, den wir mitgebracht haben.

https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/248072/snd_flyer_druck.pdf

Vortrag Ralf Becker, sicherheit-neu-denken, beim Flaggentag 2021 (Mayors for peace) in Braunschweig


Zum Ostermarsch in Gifhorn s. auch Bericht in der az (Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide)