Am 8.7.2024 gab es in Braunschweig 2 Veranstaltungen anlässlich des Flaggentages der Mayors for Peace und des Gedenktages für das Manifest von Russell und Einstein.

Den 8. Juli begehen die Mayors für Peace (Bürgermeister für Frieden) weltweit jährlich als »Flaggentag«, um an die atomare Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis 1945 zu erinnern. Die Initiative »Mayors for Peace« ist von den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki zur Abschaffung aller Atomwaffen 1982 gegründet worden. Zum Schutz ihrer BürgerInnen mahnen sie mit dem Hissen der Flagge, dass eine Wiederholung mit allen Mitteln verhütet werden muss. Seit 1987 gehört der Braunschweiger Oberbürgermeister der Initiative „Mayors for Peace“ an. Die Flagge der Mayors for Peace wurde jetzt zuzm 10. Male gehisst.

Traditionell startete der Gedenktag nachmittags mit dem Hissen der Flagge der Mayors vor Peace vor dem braunschweiger Rathaus durch Bürgermeisterin Christina Antonelli-Ngameni (Redebeitrag folgt). Elke Almut Dieter vom Friedenszentrum Braunschweig hielt die Eröffnungssrede und verlas den Gemeinsamen Appell der Bürgermeister für den Frieden der Städte Hiroshima und Nagasaki. ("Aufruf zur friedlichen Beilegung bewaffneter Konflikte und zur Abschaffung von Atomwaffen 22. Februar 2024").
Es folgte eine Rede von Bürgermeisterin Antonelli-Ngameni und Dr. Ute Lampe vom Friedensbündnis Braunschweig. Heide Janicki las eine Adaption von "Sag NEIN" von Wolfgang Borchert.
Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung durch Liedbeiträge von Gisela Witte, Susanne Schmedt und Heide Janicki: "Hevenu Shalom Alechem", "Imagine", "Traum vom Frieden".

Eigens aus Berlin angereist war eine Delegation der Friedensglockengesellschaft Berlin e.V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich im Kampf für eine atomwaffenfreie Welt zu engagieren. Gegründet wurde der Verein 1999, zu einem Zeitpunkt, als sich Deutschland erstmalig an einem völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg der NATO in Europa unter Einsatz von Uranmunition gegen Jugoslawien beteiligte. Die Vorsitzende des Vereins Anja Meves sprach später auf der Abendveranstaltung in der Paulikirche.
Diesjähriger Referent: Michael Müller, MdB und Staatssekretär im Bundesumweltministerium a.D., Vorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

 

»Ist Frieden mit Russland noch möglich? Wohin steuert Europa, wenn wir den Krieg jetzt mit westlichen Waffen nach Russland tragen?«


Bericht und Gesprächsnotizen von Elke Almut Dieter

Michael Müller beginnt seinen Vortrag mit dem Hinweis auf prominente Mitglieder der Naturfreunde: Georg Elser, der das Attentat auf Adolf Hitler in München geplant hatte, sich über Wochen abends einschießen ließ, um in Ruhe das Sprengstoffattentat vorzubereiten. Am 8. November 1939 führte er im Münchner Bürgerbräukeller das Attentat auf Adolf Hitler und nahezu die gesamte nationalsozialistische Führungsspitze aus, das nur knapp scheiterte. Die Bombe explodierte, als Hitler schon auf dem Weg zum Zug war. Georg Elsers Motivation war, den Krieg aufzuhalten. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn er Erfolg gehabt hätte?



Zu den Naturfreunden gehörte auch Willi Brandt: Krieg ist außerhalb der Vernunft.
Heute wird zu viel über Siegfrieden und Niederlage gesprochen, zu wenig über Verständigung Michael Müllers Appell: mehr Willi Brandt wagen!

Die Kubakrise von 1962 war nach Meinung von Michael Müller der Beginn der Entspannungspolitik. In dieser  Krise stand die Welt vor einem atomaren Weltkrieg. Kennedy hatte sich  gegen den militärischen Apparat und gegen die Generäle  durchgesetzt und mit Moskau verständigt. Im Herbst 1963* erfolgte dann der Wandel durch Annäherung, durch menschliche Verständigung durch eine Politik der kleinen Schritte. Adorno: es gibt kein Richtiges im Falschen. Kriege sind falsch – ein Versagen der menschlichen Vernunft.

Michael Müller mahnt zur Zusammenarbeit. Wir müssen aus dem Ukrainekrieg lernen, warum Frieden eine Notwendigkeit ist. Krieg verändert die Sprache und unser Denken, hat in Deutschland zu einem vorher nicht vorstellbaren Konformismus geführt  – einem Kriegskonformismus. Viktor Orban reist nach Russland um mit Putin zu sprechen und nach China. Die Empörung in Europa ist groß. Warum hat das kein anderer Politiker gemacht?
Wir sprechen vom Krieg und im gleichen Moment spricht der Krieg durch uns. Eine Auswertung der Talkshows ergab, dass 92% der Äußerungen kriegsbefürwortende Äußerungen waren. Müller: das ist keine verantwortungsvolle Berichterstattung, es ist eine Manipulation der Zuschauer über den Umgang mit dem Ukrainekrieg. Müller erinnert an den Irakkrieg2003, der auch ein Angriffskrieg war, aber von den Medien völlig anders behandelt wurde

Michael Müller sagt NEIN zu der Zeitenwende: die ökologisch-soziale Gestaltung der Gesellschaft ist besser. Wir brauchen Friedensfähigkeit und keine 2% des BIP für die Rüstung. Deutschland steht an 7. Stelle der weltweiten Rüstungsausgaben. In Wiesbaden, dem Stützpunkt des US-Amerikanischen Militärs und in Ramstein wird der Ukrainekrieg von den USA geführt. Es ist ein Stellvertreterkrieg zulasten der Ukrainischen Bevölkerung. Deutschland muss seine Geschichte kennen, muss diskutiere, Meinungen akzeptieren und Unterschiede aushalten. Deutschland muss fähig werde,  sich des eigenen Verstandes zu bedienen und drüber reden, wie man einen Krieg beendet. Müller verweist auf die Julikrise  von 1914**, erinnert an die Gewaltspiele im Hintergrund, an das Buch von Brzezinski, das große Schachspiel. ***
Das gilt auch für Europa, das mehr ist als die EU. Eine Friedensverständigung ist möglich – was der Februar 2022 gezeigt hat, wenn der Vertrag nicht durch eine Einmischung zerstört worden wäre. Müller fordert: der Ukrainekrieg muss beendet werden – der Menschen wegen – auch der russischen Menschen wegen! Er sieht den Ukrainekrieg als gegebenen Anlass für eine Militarisierung der Welt, eine militärische Aufrüstung, die sich auf wenige Länder der Welt konzentriert. Die Friedens – und Entspannungspolitik müsse wieder in den Mittelpunkt gerückt werden, ist seine Forderung. Um einen Friedensansatz zu erreichen, braucht es eine Politik des Dreischritts:

  • Nord-Südsolidarität,
  • gemeinsame Sicherheit,
  • Nachhaltigkeit in der Politik

nichts geht ohne einander – es ist ein innerer Zusammenhang zwischen diesen drei Prinzipien! Hinzu fügt Müller die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Zur atomaren Aufrüstung: Müller sieht die Gefahr, dass wir am Rande eines Atomkrieges stehen. Noch nie war es so gefährlich wie heute. Neun Länder haben die Atomwaffen****, viele kleine Staaten wie die Türkei, Belarus, Ägypten und andere … wollen an die Atombombe kommen. 89% der Atomwaffen haben die USA und Russland. Die USA haben 40 Milliarden $ für die Modernisierung ihrer Atombomben ausgegeben, für den Bau der Mininukes, die dadurch besser einsetzbar und leichter zu transportieren sind. Auch China rüstet massiv atomar auf. Michael Müller befürchtet, dass sich die NATO im Schatten des Ukrainekrieges zu einer globalen Macht entwickelt – mit Stoßrichtung auf China. Britische, Französische Kriegsschiffe sind im Pazifik – auch Deutschland ist dabei.

Wie können wir zum Frieden kommen? Deutschland und Frankreich sind zur Kriegspartei geworden. Können nicht vermitteln. Für Müller gibt es drei Möglichkeiten:
- Der US-Präsident Biden telefoniert mit Putin
- Großbritannien und Deutschland könne über die Vermittlung eines Schwellenlandes mit Moskau reden
- Ein Opposition zu Selenski erstarkt und ist bereit, Teile des Landes abzugeben

Im Zusammenhang mit den Fragen von dem Moderator Christoph Krämer spricht Michael Müller über das bedrängende Problem der Klimaveränderung und die damit verbundenen Gefahren für das Leben der Menschen. Er bedauert, dass diese wichtige Frage nicht aktiv gelöst wird durch die Konzentration auf die Kriege. Seine Erfahrung, dass die von ihm mit erstellte Klimadokumentation von 1990 durch die deutsche Wiedervereinigung und die nachfolgenden Probleme mit dem Aufbau Ost überlagert wurde und eine Bearbeitung der Klimaziele nicht erfolgte, scheint sich jetzt zu wiederholen. Die Rüstungsausgaben rauben Geld und Energie für das Klima.

Eine überzeugende Veranstaltung, die von ca. 130 Zuschauern besucht wurde. Fragen vom Moderator Christoph Krämer und anschließend Fragen aus dem Publikum zeigten ein lebhaftes Interesse an dem Thema und an den Aussagen des Referenten.  


Elke Almut Dieter


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*1963
- 5. August: In Moskau wird der Vertrag über das Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (Partieller Teststopp-Vertrag, Partial Test Ban Treaty, PTBT) zwischen den USA, der UdSSR und Großbritannien unterzeichnet.
- 5. August: Otto Hahn begrüßt das in Moskau unterzeichnete Atomteststopp-Abkommen und plädiert für den baldigen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland.
- 9. August: Die Bundesrepublik Deutschland tritt dem Moskauer Vertrag zur Einstellung der Kernwaffenversuche
- 5. Oktober: Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser NTBT (Nuclear Test Ban Treaty) wurde zur Unterzeichnung freigegeben.
- 10. Oktober: NTBT (Nuclear Test Ban Treaty) tritt in Kraft.
- 22. November: US-Präsident John F. Kennedy wird in Dallas bei einem Attentat getötet. Lyndon B. Johnson wird 36. Präsident der USA.

**1914
Die Julikrise war die Zuspitzung der Konfliktlage zwischen den fünf europäischen Großmächten sowie Serbien, die auf die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 folgte und zum Ersten Weltkrieg führte.

***The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives von Brzezinski, Zbigniew K.

**** Die neun Länder, die im Besitz von Atomwaffen sind, teilen sich in zwei Gruppen: Die fünf „offiziellen“ Atomwaffenstaaten, anerkannt durch den Atomwaffensperrvertrag (NPT): USA, Russland, Frankreich, China, Großbritannien. Die vier „De-Facto“-Atomwaffenstaaten, die nicht Mitgliederstaaten des Atomwaffensperrvertrags sind: Israel, Pakistan, Indien, Nordkorea.

 


Anja Meves, Michael Müller, Christoph Krämer

 

 





Zur Veranstaltung mit Michael Müller schreibt auch Andreas Matthies im braunschweig-spiegel.


Michael Müller in der Paulikirche: „Mehr Willy Brandt wagen!“


"Michael Müller sieht große Gefahren aufziehen – gerade in Europa. In der gut besuchten Paulikirche warnte er eindringlich vor einer Entwicklung, die dazu führen werde, dass Europa eine Brücke zum Krieg bietet: 700 Mitarbeiter der NATO sollen in einem neu aufgebauten Kommandozentrum auf deutschem Boden (in Wiesbaden) den Krieg der Ukraine koordinieren. Die Rüstungsausgaben werden immer weiter nach oben getrieben, und zwar  weltweit. Dabei brauchten wir eine ganz andere Zeitenwende, als die vom Bundekanzler ausgerufene: die einer weltweiten Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaverträglichkeit. Und die für Militärausgaben angestrebten „2 Prozent“ würden ausreichen, um die Klimakrise erheblich einzugrenzen. (...)"

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 Impressionen vom Rathausvorplatz - Hissen der Flagge der Bürgermeister für den Frieden



 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 


 

 








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