Heute, am Tag der Befreiung Braunschweigs vor 65 Jahren, möchte ich Sie und euch im Namen des Friedenszentrums herzlich zur Einweihung der Gedenktafel für dieses ehemalige Judenhaus begrüßen.
Ich freue mich, dass Herr Kliemke, der Sponsor und Mitgestalter der Tafel, und Bezirksbürgermeisterin Ines Werner anschließend ein paar Worte an uns richten wollen.
Braunschweig ist eine so arme Stadt. Sie ist nicht in der Lage, das 2001 beschlossene Gedenkstättenkonzept seitdem weiter zu realisieren. Daher kommt es auf uns NormalbürgerInnen an, daran zu arbeiten. Das Friedenszentrum hat eine Liste von über 20 Gedenkpunkten zur Nazizeit erarbeitet, die dringend gekennzeichnet werden müssten. Sie ist auf unserer Internetseite zu finden. Wo waren zum Beispiel die Judenhäuser, wo die schlimmsten Zerstörungen und große Opferzahlen im Bombenkrieg? Wo waren die Folterstätten der Gestapo? Wo sind die erschossenen Deserteure beerdigt? Wo wurden die 92 Todesurteile in Braunschweig gesprochen? usw.
Heute übergeben wir den 4. vom Friedenszentrum geschaffenen Gedenkpunkt den Bürgern dieser Stadt. Als ersten schufen wir 2003 die Tafel an der AOK, die an die dort begangenen Verbrechen von 1933 erinnert. Sie ist leider derzeit nicht zu sehen, offenbar wegen der Bauarbeiten in der Nähe.
Als zweiten Gedenkort haben wir 2003 den Schießstand in der Buchhorst, wo Kriegsdienstverweigerer und Kriegsgefangene während des Kriegs erschossen wurden, gestaltet und mehrfach gepflegt.
Drittens brachten wir 2005 eine Tafel am Volksfreundhaus in der Schlossstraße an zum Gedenken an den Überfall durch SA und SS und die Bücherverbrennung vom 9.3.33.
Und nun können wir endlich wieder einen Gedenkort markieren, der hier an die grausame Behandlung unserer jüdischen MitbürgerInnen erinnern soll. Die Tafel nennt die Namen derjenigen, die in diesem Haus zuletzt ihren Wohnsitz hatten, bevor sie in die KZ abtransportiert wurden. Diese Tafel konnte nur durch die großzügige Spende der Fa. KEW-GUSS, d.h. durch Reinhard Kliemke, realisiert werden. Sie war möglich durch die Bereitschaft von Herrn Hauenschild, sein Haus in dieser Weise kennzeichnen zu lassen. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit. Und sie ist auch ermöglicht worden durch den SPD-Bezirk Braunschweig, der die Montage finanziert. Allen Dreien, aber auch den Mitarbeitern des Friedenszentrums möchte ich herzlichen Dank sagen.
In Braunschweig gab es sieben Judenhäuser, von denen nach Zerstörung und Wiederaufbau nur noch drei zu erkennen sind. Eins befindet sich in der Hennebergstr. 7. Dort hat die Bürgerinitiative Stolpersteine, die das Friedenszentrum mit gegründet hat und trägt, im Jahr 2006 die Namen der jüdischen Opfer markiert.
Das dritte Judenhaus war nach dem Buch ‚Brunsvicensia Judaica’ das Haus Am Gaußberge 1. Für das Haus Ferdinandstr. 9 haben wir die Namen mit Hilfe des Vorsitzenden des AK Andere Geschichte Reinhard Bein, des besten Kenners der jüdischen Geschichte Braunschweigs, erarbeitet und überprüft.
Hier wohnte der Arzt Dr. Katzenstein, dem das Haus bis 1942 nachweisbar gehörte. Er wurde nach dem 9. November 1938, der Pogromnacht, im KZ Buchenwald eingesperrt und nur mit der Auflage entlassen, dass er sofort auswanderte. Immerhin überlebte er in den USA und bekam nach dem Krieg sein Haus zurück. Für ihn wird in der Nähe der Eingangstür in nächster Zeit ein Stolperstein verlegt. Das wird dann eine Gelegenheit sein, wieder einer Gruppe SchülerInnen die genauere Erforschung der Schicksale aller Menschen dieses Hauses aufzugeben. Das ist ein Prinzip des Vereins Stolpersteine, dass die Jugend an die Geschichte unserer Stadt herangeführt werden soll.
Wozu wurden die Judenhäuser ab 1939 geschaffen? Mit Sicherheit deswegen, weil die Juden von solchen Sammelhäusern leichter und unauffälliger in die KZs abtransportiert werden konnten. Man kann von einer regelrechten Kasernierung sprechen. Jedenfalls hatten sie kein Wohnrecht mehr wie alle anderen BürgerInnen. Im Rahmen der allgemeinen Hetze gegen sie mögen ihnen auch manche Hausbesitzer gekündigt haben. Jedenfalls erlaubte ihnen das eines von den 150 Gesetzen, die gegen Juden von den Nazis erlassen wurden. Oft waren es auch verarmte Witwen und ihrer Lebensgrundlage, ihres Besitzes und Einkommens beraubte Juden gewesen, die in solche Häuser einziehen mussten. Beamten war es verboten, mit Juden zusammen in einem Haus zu wohnen. Deshalb mussten Arier dieses Haus verlassen.
Es wäre sinnvoll einmal zu untersuchen, ob sich Hausbesitzer solchen Zumutungen widersetzt haben. Und wichtig für unsere und die kommenden Generationen ist angesichts der ehemaligen Judenhäuser die Einsicht, dass Ausgrenzung den ersten Schritt zur Vernichtung von Menschen darstellen kann.
Zum Schluss möchte ich an Brigitte Schulze, eine frühere Bezirksbürgermeisterin der Innenstadt, erinnern. Sie arbeitete in unserer AG Gedenkpunkte mit, ist leider vor fast zwei Jahren verstorben. Das Friedenszentrum wird weiter an der Realisierung von Gedenkorten in unserer Stadt arbeiten.
Frieder Schöbel