DISKUSSION aktuell:
Oktober 2020 (Friedenszentrum)  - von Burkhard Jäger



Diese Frage stellen sich momentan viele Beobachter*innen, in mehrfacher Hinsicht:

Können die Wähler*innen nach den Erfahrungen mit dem bisherigen Amtsinhaber überhaupt anders als Trump abzuwählen?

Unterscheiden sich Trump und Biden qualitativ in einem Maße voneinander, das eine durchgreifende Tendenzwende beim innen- und außenpolitischen Kurs der USA gewährleistet?

Welche Faktoren und Prozesse werden unabhängig von der Frage, wer Präsident wird oder bleibt die weitere Entwicklung konturieren? -

Wird also die Entscheidung am 03.11. wirklich weichenstellend sein?

Keine Frage ist allerdings, dass diese Wahlen zu den denkwürdigsten der US-amerikanischen Geschichte gehören: Hier stellt sich ein Amtsträger zur Wiederwahl, den nicht Wenige als nur bedingt oder gar nicht zurechnungsfähig ansehen, der in Aussicht stellt, das Wahlergebnis möglicher-/wahrscheinlicherweise nicht anerkennen zu wollen.  - Hier findet eine Wahl statt, die im Zeichen einer Pandemie mit bis dato ca. 200 000 Toten und eines von ihr zwar nicht verursachten, aber deutlich gemachten Krisenprozesses steht.


Die dramatischen Begleiterscheinungen im Vorfeld dieser Wahl korrespondieren dabei auf fatale Weise mit den Voraussetzungen, unter denen eine Persönlichkeit  wie Donald Trump überhaupt erst ins Oval Office hat gelangen können.

Die antirassistischen Proteste in den Metropolen, die Toten von Minneapolis, Portland, Kenosha … der Aufmarsch von rassistischen Milizen, die vorübergehende Besetzung des Landesparlamentes in Lansing/Michigan durch bewaffnete Gruppen sowie die gerade aufgedeckten Putschpläne gegen die Gouverneurin dieses Bundesstaates werfen ebenso ein Schlaglicht auf die innere Situation der USA wie die verständnisvollen Kommentare des US-Präsidenten zu militanten Rechtsradikalen („Dies sind sehr gute Leute, aber sie sind wütend … „).

Es lohnt sich, sich hierzu noch einmal das Wahlergebnis vom 09. 11. 2016 anzuschauen: Unabhängig davon, dass Trump USA-weit nur eine Minderheit der Wähler*innen auf sich vereinigen konnte und trotzdem die Wahl gewonnen hat (was dem antiquierten US-Wahlsystem geschuldet ist), hat er entscheidend davon profitiert, in den sogenannten Swing-States gesiegt zu haben; in Staaten also, die nicht zur mehr oder weniger festen Hausmacht der einen oder anderen Partei gehören. Hier machten Pennsylvania, Wisconsin und Michigan den entscheidenden Unterschied aus. Es handelt sich um sogenannte Rust-Belt („Rostgürtel-)Staaten, die in der jüngeren Vergangenheit besonders vom Niedergang der US-Industrie betroffen waren. In diesen Staaten wird das Scheitern des „amerikanischen Traumes“ besonders deutlich. Abgewrackte Fabriken und verfallende Wohnhäuser beherrschen die Szenerie, in der die verelendete Industriearbeiterschaft von ehedem nun haust. (Deren reale Einkommen sind im Schnitt um 7000,- Dollar unter den Stand vom Ende des letzten Jahrhunderts gefallen). - Dies „Rostgürtel-Staaten“ spielen in gewisser Weise eine Vorreiterrolle bei den Krisenfaktoren, die auch ansonsten USA-weit zu beobachten sind: Spitzenwerte bei den Drogentoten, Alkoholismus, bei Suiziden und einem starken Anstieg der Sterblichkeitsrate weißer US-Bürger im mittleren Lebensalter.

Die hoffnungslose Situation insbesondere der ärmeren Bevölkerungsgruppen und die zunehmende strukturelle und aktuelle Gewalt spiegeln sich auch in der steigenden Anzahl der Inhaftierungen wieder. Zum Vergleich: Die US-amerikanische Bevölkerung macht 5 % der Weltbevölkerung aus, der Anteil US-amerikanischer Häftlinge an der Gruppe weltweit Inhaftierter seht bei 23 % !

Die Armut in den USA ist exponenziell angestiegen: 2017 lebten 45 Mio. Menschen (15 % der Gesamtbevölkerung) in Armut, 15 Mio. knapp oberhalb der Armutsgrenze, 43 % klagen über finanzielle Schwierigkeiten und trotz Obamacare haben immer noch 26 Mio. Menschen keinen Versicherungsschutz. -

Diese Szenerie ist es vor allen Dingen,  die die US-amerikanische Mittelschicht verunsichert und sie – nicht zu Unrecht – befürchten lässt, dass größeren Teilen von ihr ein ähnliches Schicksal bevorsteht. - Aus diesem Reservoir von Menschen, die immer noch glauben, unter den bestehenden sozioökonomischen Bedingungen ihren „amerikanischen Traum“ verwirklichen zu können, schöpfte 2016 mit Erfolg Donald Trump; in bester sozialdemagogischer Manier geschickt gegen die „Eliten in Washington“ hetzend. -

Wie konnte es soweit kommen? - Das „Phänomen Trump“ ist – wie alle Phänomen dieser Art – nicht „vom Himmel gefallen“, sondern Produkt einer Entwicklung; in diesem Fall einer solchen, die die USA seit Beginn der 80er Jahre geprägt hat.

Der „Startschuss“ für die  Dynamik dieses Prozesses fiel nicht erst während der Finanzkrise des Jahrs 2008/09 und auch nicht schon durch die finanziellen Belastungen infolge des „Krieges gegen den Terror“, sondern ist ursächlich auf einen mit dem Beginn der Präsidentschaft Ronald Reagans 1981 sich vollziehenden wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel zurückzuführen: Eine Strategie, die propagandistisch mit dem Versprechen, „die Wirtschaft“ zu effektivieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen legitimiert wurde. - Sie bestand im Kern aus massiven Steuerentlastungen für die Unternehmen sowie der Deregulierung der Finanzmärkte  und – damit verbunden – einem Abbau staatlicher Regulierungsmechanismen. - Im Gefolge dieser Weichenstellung kam es zu einer massiven ökonomischen, sozialen, finanziellen und gesellschaftlichen Polarisierung; ebenso wurde die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften als Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten rigoros geschwächt. (Die Zahl der Streiks mit mindestens 1000 Arbeitern sank von 235 (1979) auf 17 (1999). - Die sinkende Verhandlungsmacht der Arbeiter spiegelte sich in rapide sinkenden Reallöhnen insbesondere bei den nicht gerade hochqualifizierten Lohnabhängigen. - Ein weiterer, durchaus beabsichtigter Effekt, war der Rückbau des Sozialstaates und der öffentlichen Ausgaben für das Bildungswesen. -

Umgekehrt wuchs auf der Seite der Kapitalbesitzer die Akkumulation von Reichtum – und damit von politischer Macht- ebenso massiv. - Es entstand sukzessive eine Plutokratie, die die Grundlagen des US-amerikanischen öffentlichen Lebens in Richtung auf eine weitere Verschiebung in Richtung auf Chancenungleichheit veränderte. - Eine Entwicklung, die unter den gegebenen sozioökonomischen Bedingungen irreversibel ist und die Radikalisierung in immer größeren Teilen der „politischen Klasse“, die Verluderung des politischen Diskurses, die weitere Verhärtung der „Fronten“ erklärt.

Ein weiterer Wirkfaktor ist die ohnehin schwindende ökonomische Grundlage für die US-amerikanische Weltgeltung: Im gleichen Maße wie die USA sich globalen Konkurrenten gegenübersehen, gegen die man mit Blick auf  gegenseitige nukleare Drohpotenziale nicht einfach in größerem Maßstab kriegerisch vorgehen kann,  werden Anreize wachsen, der systemischen Legitimationskrise auf andere Weise Herr zu werden. - Innenpolitisch oder durch eine „kreative“ Außenpolitik, die Expansionsspielräume knapp unterhalb des „großen Krieges“ eröffnet. - Beide Perspektiven müssen allen Menschen, die sich des Zusammenhanges zwischen innerem und äußerem Frieden bewusst sind, als bedrohlich erscheinen.

Haben die USA also unter diesen Bedingungen wirklich eine Wahl? - Kann eine Abwahl Trumps an diesen verfestigten Strukturen etwas ändern? - Wäre der Block an der Macht, der während der letzten 40 Jahre seine ökonomische und damit politische Macht so entscheidend ausgebaut hat, bereit, sich diese - jedenfalls auf friedliche Weise – wieder nehmen zu lassen? - Die Beispiele, die die „Geschichte“ für solche Konstellationen bereit hält, stimmen eher skeptisch.


Burkhard Jäger