-- Ergänzung zur Ausstellung : Video-Interview als Lesetext. --


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Wir sind eine Generation, die nicht in einer friedlichen Welt aufgewachsen ist. Ich weiß nicht, was dann unsere Kinder oder unsere Enkelkinder sagen oder erleben, aber wir sind in einer Welt geboren und aufgewachsen, die immer, ob das nah dran oder weit entfernt war, immer wieder von Krieg, von Konflikten gehört hat.

Und das möchten wir nicht einfach der zukünftigen Generation überlassen. Das ist meine große Motivation.

Ich möchte mich gerne engagieren in dieser Richtung, dass man dann auch vielleicht Frieden schafft. Vielleicht schaffe ich ja gar nichts. Aber ich habe mein Bestes getan. Und wenn ich es nicht schaffe und sich vielleicht nach mir auch viele andere Leute engagieren, weitermachen, vielleicht schaffen die es dann irgendwann mal."

Daniel Djedouboum ist im Tschad aufgewachsen, wo er als Jugendlicher den Bürgerkrieg miterlebte. Anfang der 1990er Jahre kam er als Student nach Deutschland. Später wurde Friedens- und Entwicklungsarbeit in afrikanischen Ländern zu seinem Beruf. Unter anderem war er für den internationalen christlichen Friedensdienst EIRENE im Osten der Demokratischen Republik Kongo tätig. Heute betreut er Friedensprojekte der Organisation in der Sahel-Region, vor allem in Niger, Burkina Faso und Mali.


"Mein Name ist Daniel Djedouboum. Ich bin gebürtig aus dem Tschad. Aber ich lebe schon über 20 Jahre in Deutschland. Ich arbeite bei EIRENE als Länderreferent für Sahel. Sahel heißt für uns drei Länder, in denen wir arbeiten. Wir arbeiten ja nicht in ganz Sahel, sondern in drei Ländern: Mali, Burkina Faso und Niger. Da bin ich dann zuständig."


Warum hast du dich entschieden, in einer Friedensorganisation zu arbeiten?


"Dieser Gedanke hat mich schon als junger Mensch geprägt. Als dann im Tschad ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist und da waren viele Verletzte, die ich gesehen habe und es gab dort viele Tote und dann gab es Evakuierungen von Menschen, von einer Stadt zur anderen und... Man redete nur von Krieg!

Es waren auch die Kriegstreiber, also die Militärs, die Soldaten sehr darauf fokussiert, dass man die jungen Menschen motiviert, sich als Reservisten zu engagieren und ausbilden zu lassen. Das habe ich komplett abgelehnt.

Da habe ich gesagt: „Das kann nicht sein, dass das der einzige Weg ist.“ „Das Leben ist ein anderes für mich.“ Ich bin in dieser Welt geboren, ich wollte auch friedlich leben. Wenn es ein Problem gibt, dann muss man doch darüber reden.

Man kann ja nicht einfach so versuchen, dann noch mit Gewalt, mit allen Gewaltmitteln dann die Probleme zu lösen, sondern man muss darüber reden.

In der Familie hatten wir...
Also die große Familie in Afrika, da hatten wir eine Person, die auch Offizier war. Und er hat uns dann immer davon erzählt, vom Krieg und so. Wenn er weg war und kam dann wieder zurück, dann fragten wir, wo er war. Und da hat er uns dann erzählt, dass er im Krieg war. Das war für mich unverständlich.


Nach dem Abitur habe ich gesagt: „Okay, ich suche mir etwas anderes, wo ich Menschen helfen kann,“ „aber nicht als Soldat.“

Und diese Arbeit, dieser Gedanke begleitet mich bis heute noch."

 

Worin genau besteht deine Arbeit beim internationalen, christlichen Friedensdienst EIRENE?

"Also die Projekte vor Ort - das ist jetzt bei EIRENE: Wir haben zwei Programme. Eines ist die ländliche Entwicklung oder Agrarentwicklung. Und der andere Bereich ist die Friedensarbeit.

In dem Bereich Friedensarbeit arbeiten wir auch mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Zum Beispiel dem lokalen Radio. Wir arbeiten dann zu den Konflikten im Bereich Goldabbau. Also wir fördern nicht diesen Goldabbau, sondern für die Konflikte um den Goldabbau, da versuchen wir friedliche, gewaltfreie Lösungen zu finden. Und auch die Friedenserziehung mit Schulen zusammen, Universitäten und Koranschulen zum Beispiel. Da versuchen wir, gewaltfreie Aspekte in deren Ausbildung und deren Fortbildung reinzubringen. Auch im Bereich Friedensjournalismus. Die Journalisten können Konfliktlöser sein und auch Konfliktstifter sein, wenn die ihre Arbeit nicht so gut machen. Was wir dann versuchen, ist, dass die ihre Arbeit besser gestalten können und gute Informationen vermitteln können."

 

Gibt es ein Erlebnis aus deiner Arbeit, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

"Ja, als ich im Kongo war...
Wir müssen ja die Partnerorganisation oder Zielgruppe besuchen und beraten. Friedensarbeit heißt Begegnung.

Man kann ja nicht immer über das Telefon oder das Handy die Leute beraten. Es gibt einige Sachen, da muss man auch persönlich da sein. Da haben wir dann einen Termin gemacht und wir mussten dahin.

Diese Zielgruppe ist auf einer Insel. Wir mussten mit einem kleinen Boot dahin kommen. Wir waren dann insgesamt vier, fünf Leute in einem Boot. Ich habe gesagt: „Das Boot ist zu klein.“ „Aber wir müssen trotzdem versuchen, dahinzukommen.“ „Wir müssen diese Gruppe besuchen.“ „Wir haben einen Termin und wir können ja nicht sagen,“ „wir haben kein passendes Boot und fahren jetzt zurück.“ Wir stiegen dann in dieses Kanu und es dauerte einige Minuten. Dadurch, dass wir dann vier Leute darauf waren, habe ich ein Loch in der Mitte von diesem Kanu entdeckt, wo dann Wasser reinfloss. Und wenn wir da nicht reagieren, werden wir alle vier untergehen. Dieser Kiwusee ist so tief. Wenn etwas passiert, wird keiner sich bemühen, jemanden da rauszuholen. Es wird gleich unser Friedhof sein.

Da habe ich dann sofort mit meinem linken Fuß dieses Loch zugedrückt. Ich habe gesagt: „Ich brauche ein Tuch oder etwas,“ „womit ich dieses Loch schließen kann.“ Dann haben die mir ein Leder gegeben und das habe ich geknüllt und dann auch dieses Loch zugemacht. Den Rest vom Wasser, was im Kanu war, habe ich dann alles rausgeschaufelt.

Und dann sind wir am Ufer angekommen. Die wollten gehen, da habe ich gesagt: „Ja, stopp!“ „Wir müssen erst mal darüber reden.“ Da habe ich dann gesagt: „Was haben die denn gelernt aus dieser Situation?“ Da haben die gesagt: „Aber wir sind doch heil angekommen. Also, das ist ja schon gut.“ „Du hast etwas gemacht und wir sind heil angekommen.“ Ich habe gesagt: „Genau, aber wenn ich das nicht mache,“ „das ist wie eine Konfliktsituation,“ „wenn ich da nur zuschaue, nichts mache,“ „dann werden wir alle untergehen.“

Das heißt, in kritischen Situationen, in Konfliktsituationen müssen wir uns auch so verhalten, dass wir, wenn wir sehen, dass etwas nicht richtig ist und wir dann eine Lösung haben oder eine Idee haben, es muss keine Lösung sein, aber vielleicht eine Idee oder Vorschläge, dann müssen wir die auch nutzen.

Das ist für mich eine Situation, die erzähle ich auch gerne weiter als Beispiel, dass die Leute sehen, zuschauen und nicht reagieren ist keine Lösung. Dass man dann auch wirklich etwas machen kann."

 

Was braucht es aus deiner Sicht für eine friedliche Gesellschaft?

"Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn wir... Man kann nicht sagen, dass das zu 100% klappt, aber Vorurteile muss man abbauen und auch Hilfsbereitschaft zeigen.

Auch diese Akzeptanz: „Das ist ein Mensch.“ „Ich akzeptiere ihn wie einen Menschen.“ Ein Vorurteil kommt ja, wenn man von vornherein denkt: „Ich bin anders als der, der mir gegenübersteht.“ oder „Ich bin besser als er.“ Daher kommen ja diese Vorurteile. Und man denkt auch, dass die Leute, ich nehme ein Beispiel, dass die Deutschen Rassisten sind. Das stimmt ja nicht. Vielleicht ist da eine Person, die ihre Meinung gesagt hat. Das heißt nicht, dass das alle Deutschen so sehen. Es gibt ja die Deutschen, die sich auch gegen Rassismus oder gegen Gewalt engagieren.

Warum soll man von vornherein so verallgemeinern? Einen einzigen Fall, den man erlebt hat, versucht man zu verallgemeinern. Ich finde das wirklich extrem und schlimm. Ich habe zum Beispiel viele Freunde mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Hautfarbe. Aber für mich sind das Menschen.

Der Mensch steht für mich im Mittelpunkt, anstatt ihn wegen seines Hintergrunds, seiner Herkunft, seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts zu verurteilen.

Für mich ist das eine rote Linie: ein Vorurteil. Aber es kann ja passieren, dass ich auch jemanden so verurteile. Kann passieren, aber bewusst will ich das nicht machen. Bei jedem Konflikt gibt es auch eine Lösung. Und diese Lösung muss jeder im Kopf haben. Und wie ich schon am Anfang gesagt habe, man weiß, wann ein Konflikt ausbricht. Man weiß nie, wann das aufhört. Das Ende weiß man nicht. Aber wenn man etwas Positives dazu beitragen kann, dann gibt das auch Kraft, gibt es auch Hoffnung. Das ist das, was mich da immer so motiviert.

Selbst hier in Deutschland habe ich einige Situationen erlebt. Ich weiß nicht und kann auch nicht sagen, wo ich dann diesen Mut, diese Kraft herkriege. Das war schon '93. Da war ich mit einem Freund in Ostdeutschland. Wir waren in der Gegend von Leipzig, wo dann auch ein Bummelzug, eine alte Lokomotive fuhr. Auf einmal kamen dann junge Leute, die zu viel Bier getrunken hatten und dann so geredet haben: „Oh, was machst du denn hier?“ „Was willst du denn hier?“ Da habe ich gesagt: „Hier, komm.“ Da ist der eine zu mir gekommen und dann kamen zwei, drei dazu. Dann habe ich gesagt: „Ja, ich bin nach Deutschland gekommen, um zu studieren.“ Und einer sagte: „Hast du nicht studiert?“ „Was du hier studierst, kannst du nicht in deiner Heimat studieren?“ Ich habe gesagt: „Ja.“ Ich bin so durstig nach Wissen. Ich suche einfach einen Weg. Egal, wo das ist, es ist mir egal. Aber das ist ein Zufall, dass ich hier in Deutschland bin. Weil was ich studieren will, ist hier in Deutschland. Zwei sind dann weggegangen und einer hat sich noch weiter interessiert und gefragt und wir haben uns unterhalten und dann hat er angefangen zu sagen: „Deutschland ist scheiße.“ Er hat Abi gemacht und weiß nicht, was er machen kann. Da habe ich gesagt: „Aber wenn du sagst, dass Deutschland scheiße ist,“ „warum soll ich dann glauben, dass es in Deutschland gut ist?“ „Du bist ein Deutscher. Du bist hier geboren.“ „Vielleicht sind deine Eltern auch hier geboren.“ „Die sind auch hier groß geworden.“ „Du wirst auch hier groß werden.“ „Du wirst auch hier dein Leben verbringen.“ „Das ist deine Heimat. Warum sagst du denn so was?“ Da ist er aufgestanden, weggegangen. Für mich war das schon vorbei. Das war erledigt. Ich habe gedacht, das ist schon zu Ende.


Und dieser junge Mensch...
Zwei Jahre später an der Uni in Göttingen: Ich fuhr in die Mensa, habe mir was zum Essen geholt und dann kam jemand von hinten. Da hat er mich so von hinten angetippt und sagte: „Kennst du mich?“ „Nee, ich kenne dich nicht.“ „Aber sag doch bitte, hilf mir, dass ich mich daran erinnere,“ „wo wir uns kennengelernt haben.“ Und dann hat er mir erzählt, was ich ihm da in dem Zug erzählt hatte. Damals, als er besoffen war. Das hat ihn gezwungen, heute Jura zu studieren. Wir sind dann zusammen an einen Tisch gegangen. Wir haben dann zusammen gegessen. Und er sagte, dass er in dem Moment, als er mit mir geredet hat, keine Angst in meinen Augen gespürt hat. Er hat nur gesehen: Das ist ein Mensch, der genau weiß, was er will. Und was ich ihm dann gesagt habe, das hat ihn so beeindruckt, hat ihn so zum Denken gebracht, dass er dann gesagt hat: Es gibt viele Möglichkeiten in Deutschland, warum kann er die nicht nutzen? Und so ist er daraufgekommen: Er wollte lieber Jura studieren.

Da habe ich gesagt: „Ja, wenn es dir etwas gebracht hat,“ „dann ist doch gut. Da habe ich aber nicht viel getan.“ Da sagte er: „Doch, du hast viel getan.“ Aber ich überlasse es immer den Anderen zu sagen, was ich an Leistung erbracht habe. Aber ich persönlich sehe es nicht als große Veränderung oder große Leistung, die ich gerade vollbracht habe. Es ist ja nur ein Beitrag zu einer Veränderung. Aber das ist nicht das Ganze."

 

Du hast eine Info-Broschüre von der Friedensorganisation EIRENE mitgebracht. Was macht diesen Gegenstand für dich so besonders?

"Das ist ein Gegenstand. Der kommt von EIRENE. Ich finde diesen Gegenstand interessant, weil darin vieles beschrieben ist, was EIRENE macht oder mit welchen Menschen. Es sind nicht die Profile beschrieben. Es ist nur beschrieben, was die da so zusammen machen. Und wenn man dann die ganze Organisation in Deutschland, die deutsche Organisation in Deutschland, wenn man da so guckt, da gibt es viele, die nicht so divers sind wie EIRENE. EIRENE war am Anfang genauso. Aber heute, wenn man guckt auf die Mitarbeiter in der Geschäftsstelle oder die Freiwilligen. Wenn man die Bilder von EIRENE, die früheren Bilder nimmt und die jetzigen Bilder, also die aktuellen, dann ist Diversität wirklich die Realität bei EIRENE."

 

Was bedeutet Frieden für dich?


"Dieses Wort „Frieden“ ist für mich...

Es beschreibt viele Sachen. Das Zusammenleben, die Hilfsbereitschaft, die ich schon mal gesagt habe und auch den Zusammenhalt. Es gibt viele Sachen, die dieses Wort „Frieden“ beinhaltet. Wie ich öfters schon gesagt habe: Es gibt Krieg, es gibt Vorurteile, es gibt Konflikte, weil wir uns nicht kennen. Man kann mit Dialog, mit Kennenlernen, mit gegenseitiger Begegnung oder Diskussion und so viel, viel, viel erreichen, anstatt schnell zur Waffe zu greifen und zu schießen. Das ist für mich keine Lösung. Das ist ja meine Motivation zu sagen: „Ich bin nicht damit einverstanden,“ „dass es immer diese Konflikte gibt.“ „Ich versuche das zu lösen.“ Wenn ich es schaffe, dann ist doch super! Dann ist das erledigt und ich kann das Ergebnis erleben.

Aber wenn ich das nicht schaffe, dann...

Ich denke, es wird irgendwann, irgendwo auf dieser Welt auch jemand wie ich geboren, der auch so denkt, dass er dann sagt: „Wir müssen Konflikte ohne Gewalt lösen.“ Das ist die Hoffnung, die ich habe. Solange ich leben kann und Kraft habe, werde ich mich immer engagieren und werde immer meinen Mund aufmachen, wenn ich etwas sagen kann."

 



Quelle: Video-Transkript von https://youtu.be/U4T1kS1L_GE?feature=shared

 


Dieser Text ist Teil der multimedialen Ausstellung "Gesichter des Friedens" von Pro Peace
Die Plakate sind zu sehen vom 2. - 30.6. im 2. Obergeschoss der Stadtbibliothek Braunschweig (Lesesaal).