Die Präambel der Gipfelerklärung der G 7 kommt ebenso abstrakt wie umfassend daher:
"Heute haben wir konkrete Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Teilhabe von Frauen und Klimaschutz beschlossen. um unseren Teil dazu beizutragen, die großen globalen Herausforderungen anzugehen und auf einige der drängendsten Probleme in der Welt zu reagieren. Zusätzlich zur Förderung des Handesls als wichtiger Motor für Wachstum wird außerdem die Umsetzung dieser konkreten Maßnahmen uns dabei helfen, unser zentrales Ziel eines robusten, nachhaltigen und ausgewogenen Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu erreichen. ..."
Dass hier ein Katalog von wünschenswerten Zielen genannt wird, ist sicher unstrittig. – In dieser Optik zählen die weltweit - und nicht nur im Mittelmeer - sich potenzierenden Flüchtlingskatastrophen allerdings offensichtlich nicht zu den "drängendsten Problemen", sondern eher zu Marginalien des Weltgeschehens, die allenfalls aus technokratischen (d.h. "sicherheitsrelevanten") Motiven heraus zu beobachten sind, da sie die soziale Stabilität in den Zielländern bedrohen könnten bzw. auch ein Indiz dafür sind, dass eine bestimmte Form von "global dominance" über sich destabilisierende strategisch wichtige Areale in Gefahr geraten könnte.
In dieser Optik sind die seit 1988 mindestens 19 000 afrikanischen Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa auf verschiedene Art und Weise zu Tode gekommen sind, zu bloßen Ziffern und Rohstoff für Statistiken verkommen. - Sie sind aber auch eine Chiffre dafür, dass die Welt "in Bewegung" gekommen ist; in Bewegung gesetzt, von eben jenen Interessen, die jetzt bestrebt sind, die "entwickelten" Länder mit administrativen Mitteln abzuschotten: Die Palette reicht hier von "Willkommenszentren" in Afrika (sprich: Auffanglagern; ein Terminus, der von den im März in Brüssel tagenden EU-Innenministern geprägt wurde. Insbesondere der deutsche Innenminister Thomas de Maizière propagiert diese Idee) bis hin zu Gedankenspielen, in denen Schlepperboote durch Militäreinsätze zerstört werden sollen.
Projektionen dieser Art (unabhängig davon, ob sie dann realisiert werden) sind ein Aspekt eines zunehmend zu beobachtenden Rückgriffes auf offensive – letztlich militärische – "Lösungen": FRONTEX, ein Grenzsicherungssystem der EU (s.u.) ist einer der am schnellsten wachsenden Haushaltsposten der EU. – Er wuchs von 17, 5 Millionen Euro im Jahre 2006 auf ca. 98 Millionen 2014.
Die hier deutlich werdende Dynamik speist sich aus:
1) Kriegen, Umbrüchen und Interventionen insbesondere nach dem Ende des "Kalten Krieges" (Afghanistan, Irak, Libyen, der syrische Bürgerkrieg (der nicht zuletzt auch von nicht "hausgemachten" Problemen befeuert wird; der IS hat hier eine wichtige Katalysatorfunktion), Militärinterventionen in Westafrika. – Zu dieser Dynamik gehören auch die Umbrüche im westlichen Teil des ehemaligen Warschauer Paktes, die sich kreuzenden Interessen um Rohstoffe und Märkte im kaspischen Raum.
2) Den Folgen eines weniger sichtbaren Wirkens: Transnationale Konzerne eignen sich – in Kooperation mit den heimischen Machthabern – landwirtschaftliche Flächen in "Entwicklungsländern" an und vertreiben die Menschen, die dieses Land bis dato genutzt haben. In Westafrika führen die Kreditauflagen des IWF und die damit erzwungenenen "Strukturanpassungsprogramme" zu massenhaften Verarmungsprozessen, die die Menschen zur Emigration zwingen. In dieselbe Richtung führen die diesen Ländern aufgezwungenen "Freihandels"-Abkommen. Zu dieser dunklen Seite der "Globalisierung" gehört auch, dass der weltweite Reichtum sich in der Hand einer immer kleiner werdenden – sogenannten – Elite konzentriert. Die Beherrschung dieser wachsenden Unruhepotenziale erzwingt eine Aufrüstung auch in der "Flüchtlingpolitik": Von der EU werden zu diesem Zweck EUROSUR und FRONTEX vervollkommnet. – Ersteres ein Grenzüberwachungssystem mit dem Ziel eines effektiveren Informationsaustausches, Letzteres eine Überwachungsagentur, die für die Koordinierung von Grenzschutzsystemen zuständig ist.
Aktive Friedenspolitik bedeutet vor diesem Hintergrund, sich nicht nur auf humanitäre Appelle zu beschränken, sondern auch darauf hinzuweisen, dass es die o.a. Interessen und Entwicklungen sind, die zu einer irreparablen Destabilisierung der internationalen Beziehungen bzw. einer noch stärkeren Zunahme von Unfriedlichkeit – nicht nur auf der Ebene der Flüchtlingspolitik – führen werden, wenn man ihnen nicht entschieden entgegentritt.
Dass der G 7-Gipfel in seiner Abschlusserklärung nicht auf diese Zusammenhänge hinweist, versteht sich von selbst: Man ist allerdings besorgt über eine "wachsende terroristische Bedrohung" in Libyen,8 ist "äußerst besorgt" über die wachsende Zahl von Flüchtlingen, die durch " ... eine Vielzahl von Konflikten und humanitären Krisen, schwierige wirtschaftliche und ökologische Bedingungen und repressive Regimes" auf die Wanderschaft gezwungen werden.9 – Eingestreut ist hier immerhin ein verschämter Hinweis auf die insbesondere von den "entwickelten" Nationen zu verantwortende drohende Klimakatastrophe mit ihren fatalen Folgen für die Nahrungsmittelreproduktion in den betroffenene Gebieten bzw. die damit in Zusammenhang stehenden Massenmigrationen.
Schließlich langt man in Elmau bei einer "Post-2015-Agenda" an, "... die den Menschen in den Mittelunkt stellt."
Allerdings ist man realistisch genug, um nicht die Beseitigung von Armut an sich, sondern nur die von "extremer Armut" bis 2030 ins Auge zu fassen. – Denn es könnte sich ja herausstellen, dass ein bestimmtes, noch "tolerables" Armutsniveau, das nicht die Gesamtarchitektur des entsprechenden Reproduktionszusammenhanges in Frage stellt, sich sogar funktonal, d.h. disziplinierend im Interesse einer Aufrechterhalteung einer bestimmten Form von "dominance" einsetzen lässt.
Lesen Sie hier die Orignalversion mit Fußnoten als PDF-Datei.
Burkhard Jäger