Tod eines Generals
Am 03.01.2020 wurde der Kommandeur der iranischen „Al-Kuds-Brigaden“, Ghassem Soleimani, durch eine US-amerikanische fliegende Bombe, „Drohne“ genannt, getötet.
Er gehört zu denen, die erst mit ihrem Tod weltweite Bekanntheit erlangten. Denn: Bis dato war er seiner Funktion entsprechend hauptsächlich nur FachjournalistInnen und -wissenschaftlerInnen bekannt. Analog zu seiner herausragenden Stellung im iranischen Machtapparat wird nun darüber spekuliert, ob seine Tötung „nur“ eine Erhöhung der Anschlagsfrequenz zur Folge haben wird oder einen kriegerischen Flächenbrand im gesamten Nahen/Mittleren Osten auslöst. - Schon jetzt aber ist klar, dass ein Krieg um Definitionen und Deutungshoheiten tobt.
Das ist nur logisch. In einer nachrichtentechnisch in einer nie vorher gekannten Weise vernetzten Welt werden Kriege unter Umständen zwar kurzfristig mit Waffengewalt beendet, langfristig jedoch im Kampf um die Gehirne und Seelen entschieden - „Souverän ist, wer über die Interpretationshoheit entscheidet“ könnte man in Abwandlung eines bekannten Ausspruchs sagen. - Die jeweilige (Interessen-) Perspektive entscheidet über die verwendeten Begriffe und Attribute: War Soleimani für die iranische Regierung und aller mit ihr liierten Menschen, Institutionen und Organisationen … ein Held im Kampf gegen die imperialistische Anmaßung der USA, so erschien er umgekehrt den meisten „westlichen“ Beobachtern und Kommentatoren als „Terrorgeneral“, „Mastermind einer Politik von Tod und Zerstörung“ … etc. pp. - Dem entspricht die Einstufung der von ihm befehligten Verbände als „ausländische Terrororganisation“, die im April vergangenen Jahres von den USA auf ihre entsprechende „schwarze Liste“ gesetzt worden war. Beim Bemühen um Rechtfertigung für den Angriff begründete das Pentagon diesen als „Akt der Verteidigung“, was der Orwellschen „Neusprech“ aus seinem Roman „1984“ schon sehr nahe kommt; zumal die hier in Anschlag gebrachte Behauptung, Soleimani sei bei der Vorbereitung von Terrortaten „auf frischer Tat erwischt“ worden, weder belegt worden ist und wohl auch nicht belegt werden kann. Und die Glaubwürdigkeit der USA hat seit den mittlerweile als Lügen entlarvten Rechtfertigungen für den letzten Irakkrieg bzw. den Vietnamkrieg (Tongkingresolution) nicht zugenommen. Wer sich ein Bild über die objektiven Bedingtheiten des sich derzeit in dieser Region angestauten Krisenpotenzials machen will, wer Lösungsansätze für den hier waltenden Konflikt entwickeln will,kommt nicht darum herum, sich die neuere Geschichte näher anzusehen.
Entgegen mancher Ideologen des „clashs of civilizations“ sind die derzeit in Nahen und Mittleren Osten tobenden Auseinandersetzungen keine primär religiösen, sondern machtpolitisch motivierte. Und es ist kein Zufall, dass gerade der Iran im Fadenkreuz steht. - Der Iran ist ein Land mit hohem wirtschaftlichen und demographischen Potenzial, das zudem an einer strategisch wichtigen Schnittstelle zwischen „West und Ost“ liegt. In dieser Eigenschaft war es insbesondere nach 1945 für die westlichen Mächte (Kalter Krieg/Erdöl) von eminenter Bedeutung, so dass die Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company durch den Premier Mossadegh als Bedrohung der wirtschaftlichen und politisch-strategischen Interessen insbesondere der USA und Großbritanniens gesehen wurde. - In Zuge der an „prowestlichen“ Putschen so reichen 50er und 60er Jahre wurde auch er im Jahre 1953 von den Geheimdiensten der interessierten Mächte gestürzt und die autokratische Herrschaft des Schah vollumfänglich wieder hergestellt. Eine „demokratische“ Entwicklung im Rahmen parlamentarischer Formen war damit objektiv abgewürgt worden. In dem in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor stark religiösen Land wurde der konservative islamische Klerus nun zum Nukleus der Anti-Schahbewegung, die sich an dessen repressiver Herrschaft, aber auch an dessen Modernisierungsbemühungen entzündete, die von den Klerikern als antiislamisch denunziert wurden. - Die aus den inneren Widersprüchen des Landes resultierende Revolution 1979 hatte deshalb eine sowohl islamische als auch antiwestliche Komponente. - Auch in dieser Drapierung blieb das Trauma der gewaltsamen westlichen Intervention 1953 präsent und fester Erinnerungsbestandteil in der iranischen Gesellschaft. - Hinzu kam die ebenso traumatische Erfahrung des seit 1980 (und mit tatkräftiger westlicher nachrichtendienstlicher Hilfe) erfolgenden Angriffs des Irak unter Saddam Hussein. Dass speziell die USA im Verlaufe dieses Krieges dann beide Seiten mit Waffen belieferten (illegalerweise und unter Umgehung des Kongresses/Iran-Contra-Affäre), um beide Kontrahenten sich möglichst umfassend „ausbluten“ zu lassen, verstärkte im Nachhinein nur das Gefühl, zum Spielball „des Westens“ geworden zu sein.(Auch die punktuelle Zusammenarbeit beim Kampf gegen die Taliban und den IS hat an diesem „Gesamtkomplex“ nichts geändert).
Die Geschichte der Beziehungen Irans zu den USA ist darüber hinaus auch eine Geschichte der Wirtschaftssanktionen, die die weitere ökonomische Entfaltung (und damit die Stärkung von Säkularisierungspotenzialen ) verhindert haben. - Der von Donald Trump verfügte Ausstieg aus dem Atomabkommen hat diese Dynamik verstärkt und soll offenbar gezielt die Zivilbevölkerung treffen (und damit rebellionsbereit gegen die Regierung machen): Nahrungsmittel und Medikamente sind zwar theoretisch ausgenommen, dennoch machen die Sanktionen es den iranischen Banken praktisch unmöglich, Zahlungen für solche Importgüter zu leisten. - Ein Human Rights Watch-Bericht vom Oktober letzten Jahres zeichnet ein dramatisches Szenario der jetzt schon herrschenden Situation im Iran. -
Welche Aussichten auf Erfolg kann unter diesen Voraussetzungen eine Friedensinitiative haben? - Wie kann man auf eine Macht einwirken, die sich im Netz einer paradoxen Machtpolitik bewegt? - Denn die USA haben die nun von entstandene Situation selbst geschaffen, indem sie den Irak praktisch zu einem „failed state“ degeneriert haben (und damit den Aufstieg des IS ermöglicht). - Ähnliches war mit Syrien geplant. Die nächste Eskalationsstufe scheint vorprogrammiert durch Trumps Drohung von heute, im Falle eines iranischen Angriffs auf amerikanische Einrichtungen 52 ausgewählte Ziele im Iran angreifen zu wollen. - Die US- Politik gleicht einem unterbeschäftigten Team von Feuerwehrmännern, das Feuer legt, um „etwas zu tun“ zu bekommen.
Oder ist diese Politik gar nicht so irrational, sondern ganz einfach „nur“ interessengeleitet? - Gibt es eine ganz bestimmte ratio, die mit einer weiteren Verschärfung der in Folge der Spannungen zu erwartenden weltwirtschaftlichen Verwerfungen zynisch spekuliert? - Wer profitiert von Kriegen, massenhaftem Sterben und Zerstörungen? - Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in den USA.
Burkhard Jäger