Rede zum Jubiläum des Friedenszentrums

 
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir kurz auf die Geschichte des Friedenszentrums zurückblicken. Ich werde aber auch einige der aktuellen Arbeiten und Ziele der Friedensbewegung vorstellen.



Das Friedenszentrum wurde vor 25 Jahren am 20. März im St.-Pauli-Gemeindesaal noch während des Kalten Kriegs gegründet. Ein Ende des Ost-West-Konflikts war damals nicht abzusehen, obwohl es erste vorsichtige Kontakte zwischen den Blöcken gab. Die Mauern in den Köpfen abzubauen gehörte zu den erklärten Zielen unserer GründerInnen. Deshalb beteiligten wir uns 1988 auf Einladung des rot-grünen Rats mit anderen Braunschweiger Friedensgruppen am ersten Friedens-Symposion Magdeburg–Braunschweig und konnten dort unsere Arbeit vorstellen. So wirkten wir mit für die spätere Städtepartnerschaft.

Kriegsdienstverweigerung, Rüstungsproduktion, Friedens-Demos, Entlarvung von Krieg, Militarismus und herkömmlichem Gewaltdenken, Friedensforschung, Friedensliteratur, Friedenserziehung, Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit, kurz: Friedensaktivitäten hatten in den 80er Jahren so stark zugenommen, dass es kaum möglich war, als einzelner Bürger oder Bürgerin auf allen Gebieten auf dem Laufenden zu bleiben.

Es drohte zusätzlich – wie das bei vielen Bewegungen der Fall ist – nach dem Abzug der Mittelstreckenraketen in West und Ost ein Abflauen der staatlichen und der BürgerInnen-Bemühungen um Frieden. Wegen der Abrüstungsverträge und der zunehmenden Entspannung meinten viele, der Frieden sei ja nun gesichert. Selbst Helmut Kohl sprach von "Frieden schaffen mit weniger Waffen".

Dabei war uns klar, dass Vertrauen und Frieden ständig neu errungen werden müssen. Vor allem aber wollten wir diesem Ziel von Unten durch Basisaktivitäten nachhelfen. Wir rechneten uns damals und rechnen uns heute zur wachsenden Bewegung der Bürgerinitiativen. Der von ForscherInnen, LehrerInnen und PolitikerInnen erarbeitete Friedens-Begriff bedeutete eine unglaublich breite Ausdehnung unserer Reflexion und unseres Handelns auf viele gesellschaftliche Bereiche. Bestanden die Aktivitäten der Friedensbewegung vorher aus nach Außen wirkenden Demonstrationen, Gedenkveranstaltungen, Blockaden und Seminaren, so war die Forschung zu der Einsicht gelangt, dass praktisch alle Lebensbereiche im Sinne von "Frieden und Gerechtigkeit Schaffen" reformiert werden müssten. Wir stellten fest, dass eine bloße "Bewegung" oder kurzfristige Bündnisse dafür nicht ausreichten. Jährlich gab es zwar Friedenswochen und Friedenstage (AG BSer Friedenstage!), aber eine ganzjährige Arbeit gab es nicht. Also musste die Friedensarbeit verstetigt werden. Sie sollte nachhaltig sein.

Hierzu gehörte, die vielfältigen Entwicklungen in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gründlich aufzuarbeiten und selbst zu versuchen, positiven Einfluss zu nehmen. Andererseits befand sich die Antikriegsbewegung noch in einer häufig diskriminierten und von den Medien kaum beachteten Ecke. Das ist teilweise heute noch der Fall.

Günstig war zu Beginn unserer Arbeit, dass der Staat wegen der grassierenden Arbeitslosigkeit ABM-Stellen für gemeinnützige Vereine zur Verfügung stellte und die rot-grüne Ratsmehrheit uns Zuschüsse gewährte. Zudem gab es überall Leerstände von Räumen, die man nur zu entdecken brauchte. So bezogen wir bereits 1988 vier Räume in der Goslarschen Straße 93 und stellten drei ABM-Kräfte ein. Wir konnten die erste Friedensausstellung im eigenen "Haus" selbst zusammenstellen. Sie hatte zum Thema "Kinder spielen und erleben Krieg". Sie machte unseren Widerstand gegen Kriegsspielzeug ebenso deutlich wie die besonders schweren Folgen von Krieg für Kinder. Dazu gab es eine Menge literarischer und künstlerischer Aussagen, die wir gut verwenden konnten. Später zeigten wir mehrere Ausstellungen im Rathaus, z.B. über "Tschernobyl und die Folgen" und über "Feindbilder-Freundbilder".

Zwei Irak- und mehrere Balkankriege trieben uns in den neunziger Jahren wieder auf die Straße. Wegen unserer guten personellen Ausstattung und dem starken Interesse der Öffentlichkeit bauten wir mit Hilfe der Falken auf dem Kohlmarkt über mehrere Wochen sogar ein Diskussionszelt auf, in dem über Kriegsursachen, Kriegsdienstverweigerung und den Islam referiert wurde. Ein nächstes großes Projekt waren die drei Broschüren zum Bombenkrieg in Braunschweig, die wir 1993–1995 mit vielen ZeitzeugInnen-Befragungen, Tagebüchern und Vorträgen gestalten konnten. Zu diesem Erinnerungsthema produzierten wir zwei große, selbst gefertigte Ausstellungen im Altstadtrathaus und im Landesmuseum. Wir wollten zeigen, wie der von Deutschland begonnene und totale Krieg schließlich nach Deutschland zurückkam. Die Stadt half uns bei der Finanzierung.

Ausstellungen waren sowieso ein ständiges Element unserer Arbeit. Da es in Braunschweig kaum geeignete Ausstellungsräume gab und gibt, mussten wir in Bibliotheken, Kirchen und Schulen ausweichen. Leider liegt auch unser Büro mit seinen Ausstellungsmöglichkeiten weit vom Stadtzentrum entfernt. Die Zahl der Ausstellungen hat sich auf 44 summiert. Die aktuellste beschäftigt sich mit dem neuen Zivilen Friedensdienst und kann bei uns entliehen werden. Hiervon sind einige Tafeln hier im Raum aufgehängt. So wie unsere Ausstellung für ein Ständiges Kriegsverbrecher-Tribunal oder über Landminen von Unterschriftensammlungen begleitet waren, so war es auch beim Zivilen Friedensdienst. Alle drei Projekte führten später zu Erfolgen.

Für die Stadt haben wir einen ausführlichen Katalog erarbeitet, der Forderungen für ein wirkliches friedenspolitisches Engagement Braunschweigs enthält. Dies ist in vielen Ländern inzwischen für Kommunen rechtlich anerkannt. Zum Beispiel die Wiederaufnahme der kontinuierlichen finanziellen Förderung der Arbeit von Friedensgruppen, die in den neunziger Jahren einfach weggespart wurde. Diese Unterstützung seitens der Stadt ist nun, dank der Wende im Rat zu mehr Sensibilität auf dem Gebiet der BürgerInneninitiativen, erstmalig wieder beschlossen worden. Immerhin haben wir es durch nachhaltiges Drängen auch geschafft, dem OB endlich zum Bewusstsein zu bringen, dass unsere Stadt eine Verpflichtung hat, an den Treffen der Mayors for Peace teilzunehmen. Hierzu mussten wir die monatelangen haltlosen Ausreden des OB erst einmal dokumentieren. Inzwischen ist auch Wolfenbüttel auf unsere Anregung hin den Mayors for Peace beigetreten. Auf Wolfsburg, Goslar, Helmstedt und Gifhorn warten wir noch.

Die Ausstellungen und Recherchen zum Kriegsgeschehen veranlassten uns, eine eigene Arbeitsgruppe zur Schaffung von Gedenkpunkten an die Nazizeit zu installieren. Sie erarbeitete einen Katalog von 22 Orten, an denen uns eine Erinnerung an das unmenschliche Geschehen auf Dauer sinnvoll und dringlich erscheint. Obwohl wir auch im Gedenkstättenausschuss der Stadt mitarbeiteten, wurden unsere Vorschläge nur als Anhang zum Gedenkstättenkonzept veröffentlicht; die Stadt selbst hat sich in zehn Jahren nicht in der Lage gesehen, nach dem Beschluss des Konzepts 2001 irgendwelche zusammenhängenden oder kreativen Ideen dazu zu verwirklichen, wenn man vom Internetauftritt "Vernetztes Gedächtnis", den im wesentlichen die HBK voranbrachte, oder der Bücherverbrennungs-Gedenkplatte auf dem Schlossplatz einmal absieht.

Daher war das Friedenszentrum gefordert, hier aus eigenen Kräften Gedenkorte zu realisieren. Das taten wir im Juli 2003 zuerst mit der Platte im Fußweg vor der AOK zum Gedenken an die vor 70 Jahren (!) dort begangenen Verbrechen, dann mit der Schaffung des Gedenkorts Buchhorst 2005 zum Gedenken an die dort erschossenen Kriegsdienstverweigerer, Widerständler und Kriegsgefangenen, im gleichen Jahr mit der Tafel am Volksfreundhaus zur Erinnerung an den brutalen Überfall am 9.3.1933 und 2010 mit der Tafel am ehemaligen sogenannten Judenhaus Ferdinandstraße 9.

Die aufwendigste Arbeit aber leisten wir seit 1999 mit unserer inzwischen 12-jährigen Vortragsreihe in der VHS Alte Waage WEGE ZU EINER KULTUR DES FRIEDENS, die wir gemeinsam mit dem Braunschweiger Friedensbündnis inzwischen auf 105 Abende gebracht haben. Eine Liste dieser Veranstaltungen liegt am Infotisch aus. An Themen mangelt es nicht; wir können kaum alle Vorschläge umsetzen. Das FZ hat jetzt 95 Mitglieder und bisher 8 PraktikantInnen, von denen einige gleich noch ein paar Beiträge zu unserer Arbeit bringen werden. Die PraktikantInnen sind unsere Hoffnung auf Verjüngung unserer Aktiven. Aus diesem Grund gehen wir auch in Schulen und bieten dort unsere Themen an. Unser 25-jähriges Bestehen haben wir vorgestern mit einem Vortrag von Prof. Roland Roth über das Thema "Mutbürger, Bürgerinitiativen" gewürdigt. Seine These war, dass nur der Dialog zwischen Staat / Parlament einerseits und BIs andererseits zu tragfähigen Lösungen unserer Probleme führen können.

Womit beschäftigen wir uns nun augenblicklich?

  1. Da sind zuerst die unsäglichen deutschen Waffenexporte – wir tun etwas dagegen und unterstützen die AKTION AUFSCHREI.
      
  2. Afghanistan bleibt ständiges Thema.
       
  3. Der Konflikt Israel-Palästina schwelt und macht uns sogar hier in BS konkrete Probleme, weil die selbsternannten "Antifaschistischen" Israel-Freunde (Gruppe Braunschweig) sich häufig undemokratisch verhalten und Veranstaltungen stören. Mit Hilfe des DGB, bei dem sie positiv tätig sind, versuchen wir eine Gesprächsvermittlung. Wir möchten beide Seiten an einen Tisch bringen, im Nahen Osten – aber auch hier.
       
  4. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der bedrohlicher werdende Hunger in der Welt und seine Bezüge zu unserer Lebensweise, Friedensethik und Moral.
       
  5. Die offenbar in Modernisierung befindlichen 20 Atomwaffen in Büchel / Mosel, für die deutsche Piloten leider weiter den Abwurf üben sollen.
       
  6. In Bezug auf das Säbelgerassel einiger Länder wegen Syrien und Iran mahnt die Friedensbewegung zu Vorsicht und Diplomatie.
       
  7. Es droht die Gefahr der Beschneidung Ziviler Konfliktbearbeitung (ZKB) zugunsten des alten Gewaltdenkens bei internationalen Einsätzen. Die Regierung gibt immer noch dem militärischen Denken das Hauptgewicht und riesige Finanzmittel, während zivile Alternativen wie die "Akademie für ZKB" in diesem Jahr um 90.000 gekürzt werden. Dies beklagt auch die "Plattform ZKB" in ihrem neusten Papier.
       
  8. Es gibt immer noch keine UN-Kommission für Frieden und Konfliktprävention, wie es der UNCOPAC-Vorschlag vorsieht, an dem ich mitgearbeitet habe. Sind die UN unfähig, auf sich anbahnende Konflikte präventiv zu reagieren? Die UN müssen reformiert und gestärkt werden. Dazu verweise ich auf das ausliegende Papier unseres ehem. Praktikanten Benjamin Rabe. Auch Daniel Gottschalk, unser Teilzeitmitarbeiter, hielt dazu einen Vortrag.
       
  9. Andere Felder sind die Entwicklung der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit (von Occupy! bis zum Fairen Handel, Oikocredit und Brot für die Welt).
       
  10. Es muss aber auch Frieden unter uns immer wieder geschaffen werden – das ist normal. In der Friedensbewegung finden sich besonders viele kreative, aber eigenwillige Köpfe, die zu konstruktiver Kritik und nachhaltiger Mitarbeit motiviert werden können. Wir haben unter uns besonders sensible Menschen, die auf das Unrecht in der Welt empfindsam und spontan reagieren!
       
  11. Dazu gehört bei uns und Draußen ein Bewusstsein der Erfolge der Friedensbewegung zu entwickeln. Drei Punkte hab ich dafür schon genannt.
       
  12. Personelle Verengungen ergeben sich aus der zu beobachtenden Auslagerung einiger Ziele der Friedensbewegung in andere Gruppen, z.B. in die BIs (a.i., Atomenergie, Asse, Schacht Konrad, Umweltschutz, Mehr Demokratie, Lobbycontrol, Campact und die vielen anderen, nicht zu vergessen die Internet-Petitionen). In unseren Rundbriefen fordern wir immer wieder zur Unterstützung von ausgewählten Internet-Aktionen auf, die oft erfolgreich sind.
       
  13. Wir müssen den Boykott von Banken, die die Rüstung fördern, endlich ernst nehmen. Dazu gehören DB, Commerzbank, LB Bayern, West-LB, Postbank und andere.
       
  14. Und schließlich fordern wir zum Kauf von Fairen Produkten auf!




Abschließend noch eine Bemerkung zur ZKB. Ich war zur Jahrestagung der PLATTFORM ZIVILE KONFLIKTBEARBEITUNG vor 14 Tagen in Loccum. Das ist ein großer Zusammenschluss von 62 Organisationen und 119 Einzelmitgliedern aus der Zivilgesellschaft. Sie stellte fest:

  • Die Einsicht wächst, dass gesellschaftliche Umbruchprozesse hoch komplex und von außen nur beschränkt beeinflussbar sind. Politische Bevormundung begleitet zwar nach wie vor entwicklungspolitische Vorhaben aller Art, aber ein Nachdenken hat eingesetzt.
       
  • Diese Situation der "Verunsicherung" birgt Risiken, aber auch Chancen: Es besteht die Gefahr, dass auf das Scheitern der derzeitigen Interventionspolitik ein resignativer Rückzug ins "Nichtstun" folgt, was im Zuge der Wirtschaftskrisen in Europa und der Verschiebung der globalen Machtverhältnisse zu einem noch stärkeren Eurozentrismus oder Nationalismus führen kann.
       
  • Ohne eine stärkere Öffentlichkeit bleiben Friedensarbeit eine "private" Angelegenheit und Friedenspolitik ein Spielball diverser politischen Interessen. Vordringlich ist es, Sicherheitsängste abzubauen und aktives Friedenshandeln öffentlich hervorzuheben.
       
  • Zusammenhängende Friedens- und Entwicklungspolitik beginnt beim eigenen Handeln, d.h. es bedarf einer ernsthaften Diskussion darüber, welche heimischen Partikularinteressen zukünftig hintangestellt werden müssen, damit woanders Friedensprozesse möglich werden.   

  • Die Authentizität von Friedenspolitik bemisst sich auch daran, wie im eigenen Land mit Konflikten umgegangen wird. Der Fremdenhass, das Armutsgefälle und die mannigfache Interessensdurchsetzung durch Macht gehören zu den Phänomenen, die darauf verweisen, dass in unserem Land Friedensarbeit notwendig ist.


Ich danke für die Aufmerksamkeit.