DISKUSSION aktuell:
18.5.2024 (Dr. Ute Lampe, Friedensbündnis)

Nicht nur das deutsche Grundgesetz hat im Mai 2024einen 75. Jahrestag, auch die NAKBA jährte sich im Mai schon zum 76. Mal.
Auf der Solidaritätsdemonstration für die Menschen in Gaza am 18. Mai hielt Dr. Ute Lampe für das Friedensbündis Braunschweig zur aktuellen Situation in Gaza und Israel eine Rede, die wir hier wiedergeben:

 

Das Friedensbündnis Braunschweig verurteilt jede Form von Gewalt und Vertreibungen, Konflikte, die vermeintlich nur militärisch zu lösen sind, und Kriege. Sie führen zu Zerstörungen, zu massenhaften Tötungen von Menschen und verursachen unglaubliches Leid.
76 Jahre Vertreibung, Besatzung und Unterdrückung. Das ist es, was die palästinensische Bevölkerung seit der Nakba in Palästina ertragen muss. Dieser Konflikt hat viele Opfer gekostet, sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite. Denn Gewalt schafft Gegengewalt.

Aktuell findet in Gaza erneut eine Vertreibung unglaublichen Ausmaßes statt. 1,9 Millionen vertriebene Palästinenser auf einer Fläche von 365 km2. Einer Fläche, die kleiner ist, als das Bundesland Bremen. Die Menschen wurden teilweise 3-4 Mal zur Flucht getrieben, sind Tag und Nacht Bombardements ausgeliefert, haben keine Möglichkeit diese Fläche zu verlassen, sind eingesperrt, wie in einem Käfig.
Der massive militärische Einsatz Israels wird von der rechtsextremen Netanjahu-Regierung mit dem Recht auf Selbstverteidigung begründet. Die Zerstörungen übersteigen aber bei Weitem dieses Recht. Das, was dort geschieht ist völkerrechtswidrig.

Raz Segal, israelischer Holocaust- und Genozidforscher an der Stockton University in New Jersey, USA, nennt diesen Krieg einen Lehrbuch-Fall des Völkermords. 800 Rechtswissenschaftler in den USA schätzen in einer gemeinsamen Erklärung schon die totale Abriegelung des Gazastreifens als möglicherweise genozidal ein.
Die Zerstörung von Krankenhäusern und Krankenwagen, Angriffe auf Sanitäter und Hilfskräfte, die Zerstörung von Infrastruktur, Schulen, Moscheen, die Weigerung ausreichend Nahrungsmittel und Wasser in das Gebiet zu lassen ist völkerrechtswidrig.

Kilometerlange Schlangen von LKW's stehen an den Grenzen und werden vom israelischen Militär an der Einfahrt gehindert. Das ist unmenschlich, das ist barbarisch.
Mehr als 36.000 Tote, 78.000 Verletzte, die mangels Materials und Infrastruktur gar nicht oder nur notdürftig versorgt werden können und unzählige Verschüttete, die noch unter den Trümmern liegen.
Südafrika hat die israelische Regierung im Dezember 2023 aufgrund dieses grauenhaften Krieges vor dem höchsten UN-Gericht, dem internationalen Gerichtshof wegen des Begehens eines Völkermordes verklagt. Sie forderten zudem im Eilverfahren einen Waffenstillstand. Das Gericht hat der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand nicht entsprochen, aber klar den Schutz der Bevölkerung in Gaza und eine Sicherstellung der Versorgung gefordert. Das Gericht sah zudem Anzeichen für einen Völkermord, so dass die Klage Südafrikas angenommen wurde.

Trotz dieses Ergebnisses liefert Deutschland weiterhin Waffen und militärisches Material nach Israel, was in Gaza zum Einsatz kommen kann. Damit unterstützen wir einen Völkermord.

Ich frage mich: Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt? Ist die viel beschworene Erinnerungskultur nur Schall und Rauch? Haben wir tatsächlich nichts aus den Gräueltaten im 2. Weltkrieg und dem Genozid an der jüdischen Bevölkerung gelernt?
Durch die Waffenlieferungen an Israel machen wir uns erneut zu Tätern, in dem wir einen Völkermord unterstützen. Das ist für mich entsetzlich.
Dazu kommt, dass Kritik gegen diese Art der Unterstützung für Israel von politischer Seite bekämpft wird. Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinensern werden nicht zugelassen oder werden mit absurden Auflagen belegt. Solidaritätscamps in den Universitäten werden gewaltsam geräumt. Damit wird versucht, den politischen Diskurs über diesen Krieg und die Verantwortung Deutschlands -auch im wissenschaftlichen Raum- im Keim zu ersticken.

Jede deutliche Kritik am militärischen Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza wird als antisemitisch diskreditiert. Informationsveranstaltungen können nicht stattfinden, weil dafür keine Veranstaltungsräume zur Verfügung stehen. Der internationale Palästina-Kongress Mitte April in Berlin, besetzt mit hochkarätigen Referenten, mit mehreren 100 Teilnehmenden und weiteren 100en Online zugeschaltet, wurde nach Beginn des ersten Redebeitrags durch die Polizei beendet und der Veranstaltungssaal von Polizeikräften teilweise gewaltsam geräumt. Die Veranstaltung wurde übrigens von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost mit organisiert -aufgrund dessen hat die Sparkasse Berlin dem Verein das Konto gesperrt.

Der Referent Abu Sitta, Chirurg und Professor aus England, der zu Beginn des Krieges in Gaza im Krankenhaus medizinisch tätig war. Ihm und Yanis Varoufakis wurden zudem die Einreise nach Deutschland verweigert. Varoufakis, Professor für Ökonomie, war in Griechenland Finanzminister und gehörte damit einer griechischen Regierung an. Gegen ihn wurde neben der Verweigerung der Einreise zeitlich befristet eine politische Betätigung in Deutschland untersagt. Das ist ein Skandal.
Absurd und für mich erschreckend ist, dass die "Mainstream Presse" dieses Vorgehen bejubelt. Das erinnert mich an dunkle Zeiten deutscher Geschichte.

Demokratische Grundwerte wie Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit werden in diesem Kontext massiv beschnitten, das dürfen wir nicht einfach hinnehmen, dagegen müssen wir uns wehren und immer wieder diese Rechte ggf. einklagen -wie auch hier in Braunschweig geschehen.

Ich bin froh, dass ich Gesagtes im Namen des Friedensbündnisses Braunschweig aussprechen darf und ich weiß, dass ich im Namen vieler Menschen in unserm Land spreche. Sie mögen über ihr Mitgefühl mit den Palästinensern aus Angst nicht sprechen, weil sie möglicherweise als Antisemit abgestempelt werden könnten. Sie gehen auch nicht zu Solidaritätsveranstaltungen für die Palästinenser, weil die Veranstaltungen im Vorfeld bereits medial und politisch diskreditiert werden.
 
Ich weiß aber auch von Menschen, die das militärische Vorgehen der israelischen Regierung -mit Blick auf den 7. Oktober- befürworten. An diese Menschen möchte ich die Fragen richten: Ist das, was in Gaza passiert noch menschlich? Können Sie das mit Ihrem Gewissen verantworten?

Wir fordern von unserer Bundesregierung:

- Keine weiteren Waffenlieferungen an Israel,
- diplomatische Anstrengungen zur Freilassung der Geiseln,
- dass sie sich dafür einsetzt, dass die LKW's ungehindert die Grenzen nach Gaza passieren können und die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Nahrungsmittel sichergestellt ist.


Dr. Ute Lampe