DISKUSSION aktuell:
Ende Oktober 2020 (Friedenszentrum) - von Ingeborg Gerlach
Zur Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE)
Die Zahl der Firmenpleiten wird steigen. Kleinunternehmer und Solo-Selbständige in großer Zahl werden Insolvenz anmelden müssen und das Millionenheer der Hartz-IV-Empfänger vergrößern. In dieser Zeit wird der Ruf nach einer menschenfreundlicheren Alternative zu dem oft als willkürlich und schikanös empfundenem Hartz-IV-System immer lauter. In zunehmendem Maße wird das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als zukunftsträchtiges Modell betrachtet. Es vereint eine Anzahl von Vorzügen: individueller Anspruch ohne Bedürftigkeitsprüfung und Gegenleistung. Kontrolle und Gängelung entfallen. Die Betroffenen können ein selbstbestimmtes Leben führen, sich der Pflege von Kindern oder Alten widmen, sich weiterbilden, ehrenamtlich tätig sein oder sich der Politik und den Hobbys widmen, und das alles mit einer auskömmlichen Absicherung, zu der man in bestimmtem Umfang hinzuverdienen könnte.
Natürlich gibt es Bedenken und Gegenargumente. Viele empfinden es als ungerecht, wenn das Grundeinkommen nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird. Doch es könnte eine Deckelung geben: Bei einer bestimmten Einkommens- oder Vermögenshöhe endete dann das BGE. – Ein weiterer Einwand ist, dass die Menschen nichts mit ihrer Freizeit anzufangen wüssten und dem Alkohol verfielen. Doch die Ergebnisse eines finnischen Experiments zeigen, dass die meisten der per Los Ausgewählten sich durchaus einer sinnvollen Tätgkeit widmeten, sei es Fortbildung, sei es Ehrenamt.
Unbezahlbarkeit. lautet ein weiterer Einwand. Die Befürwortet des BGE weisen darauf hin, dass die kostspielige Hartz-IV-Verwaltung entfiele. Außerdem sollte endlich eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, deren Ertrag für das BGE verwendet werden könnte.
Das schwerste Gegenargument kommt von den Gewerkschaften: Das BGE sei eine „Stillhalteprämie“ für Arbeitslose. Die Gesellschaft signalisiere mit seiner Einführung, dass sie sich vom Ziel der Vollbeschäftigung verabschiedet habe. Die Arbeitslosen müssten in zunehmendem Maße auf eine Tätigkeit verzichten, die ihnen neben Lohn und Brot soziale Kontakte und soziale Integration verschaffe. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen, aber er stößt angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt (Digitalisierung, Künstliche Intelligenz) auf seine Grenzen.
Seit einiger Zeit gibt es eine europaweite Initative für ein BGE. Eine Reihe von Initativen hat sich zusammengefunden, um das neuartige Instrument der „Europäischen Initative“ anzuwenden. Sie muss innerhalb eines Jahres eine Million Stimmen sammeln sowie in sieben EU-Ländern ein bestimmtes Quorum erreichen. Dann können die Initiatoren ihr Anliegen der Europäischen Kommission vorlegen, die dazu Stellung nehmen muss (sie kann auch ablehnen!). Im Europäischen Parlament findet außerdem eine Anhörung statt. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht, auch wenn die Zahl der Befürworter noch so hoch ist. Die Europäische Initative kann, wie eine Petition, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Anliegen lenken und damit den Druck auf die Politk erhöhen, sich mit dem Anliegen zu befassen. Mehr europäische Demokratie gibt es derzeit noch nicht.
Ingeborg Gerlach