Vortrag von Dr. Latzel am 18.06.2015.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges lässt sich nicht genau festlegen: Im Reims wurde am am Morgen des 7. Mai 1945 die Kapitulation des Deutschen Reiches von General Eisenhower und Oberst Alfred Jodl unterzeichnet. Da dieser Mann ohne Kommandogewalt war, gab es eine Wiederholung am Abend des 8. Mai in Berlin im Beisein von Stalin und Churchill. Für das Deutsche Reich unterzeichnete Wilhelm Keitel – eigentlich am 9. Mai, da es bei der Unterzeichnung bereits 0.16 Uhr war. Bereits am Nachmittag des 8. Mai hatte Churchill die Kapitulation im Radio offiziell bestätigt, so dass in London, New York, Manhattan am 8. Mai jubelnd Freudendemonstrationen stattfanden. In Moskau geschah dies erst am 9. Mai, bis heute der Nationalfeiertag.
Definiert man das Kriegsende als das Ende der Kampfhandlungen, so geschah das im Braunschweiger Land zwischen dem 6. und dem 23. April. Beispiel: Die Verhandlungen zwischen Veit und dem US. Amerikaner Hobbes am 11.April. An drei Beispielen legte Dr. Latzel dar, wie Menschen das Ende des Krieges erlebt haben. Er beginnt mit den Opfern, den Toten, die das Ende nicht mehr erlebt haben – die Opfer der Verbrechen der Naziherrschaft, die toten Soldaten und die Bombenopfer in der Zivilbevölkerung.
Er zeigt das Kriegsende an vier Biografien auf:
- Jerzy Herzberg, der vom Ghetto Lodz nach Auschwitz, dann als Kriegsarbeiter ins Lager Schillstraße verbracht wurde. In den Büssingwerken erkrankte er an der schweren Arbeit, kam ins Krankenlager Watenstedt, danach Weiterarbeit in den Braunschweiger Stahlwerken, kam dann ins KZ Ravensbrück und wurde ins Lager Wöbbelin bei Ludwigslust transportiert. Das Lager wurde dort zufällig von Amerikanischen Soldaten entdeckt und befreit. Für ihn war das Ende des Kriegs ein Befreiung, seine Rettung. Über Theresienstadt, emigrierte er nach England, wurde dort Mathematiker.
- Bertolt Heilig, seit 1937 in der HJ, verheiratet, als Soldat in Frankreich und in der Sowjetunion, kam als Verwundeter zurück, wurde Kreisleiter von Hildesheim, später von Braunschweig. Er verkündete Durchhalteparolen bis zuletzt, ließ einen Landrat hinrichten, der sich weigerte, die Zerstörung einer Brücke durchzuführen, floh nach Berlin und kam in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im Juni 47 wurde er wegen Mordes zum Tode verurteilt. Durch Helferinnen aus der Zelle entkommen, ist er über Rom nach Argentinien entflohen. 1978 starb er durch Selbsttötung.
- Heinrich Beckmann, Jahrgang 1919, KPD-Mitglied, kam als Führer des Widerstands in Schutzhaft, wurde wegen Hochverrats zu 2 Jahren und 2 Monaten verurteilt. Nach seiner Haft in Bremen, kam er nach Buchenwald, wurde dort am Kriegsende von den Alliierten befreit. Im April 45 gründete er den Antifaschistischen Kreis, arbeitete an der Säuberung der Verwaltungen und sprach im Juli 1945 auf der Gedenkveranstaltung. Gezeichnet von den Strapazen und schwer krank starb er 1956.
- Martha Fuchs, aus der Nähe von Bautzen, heiratete den Chefredakteur des Volksfreunds, wurde SPD-Mitglied, Stadträtin, Landrätin, war befreundet mit Otto Grotewohl. 1933 hatte sie alle politischen Ämter verloren, 1944 wurde sie in das Gestapo-Lager Hallendorf verbracht. Auf dem Transport nach Ravensbrück konnte sie fliehen, ging nach Berlin zu Otto Grotewohl. Nach dem Kriegsende, der Befreiung vom Faschismus, nahm sie ihre politisch Arbeit wieder auf. Sie wurde Ratsherrin in Braunschweig. Von Mai bis November 1946 war sie Kultusministerin des Landes Braunschweig und daran anschließend vom 20. Januar 1947 bis zum 9. Juni 1948 Staatskommissarin für das Flüchtlingswesen im Lande Niedersachsen mit Ministerrang. Sie hatte damit als erste Frau in den Westzonen ein Ministeramt inne. 1949 wurde sie als erste Frau Vorsitzende eines SPD-Bezirks. In den Jahren von 1947 bis 1951 und 1954 bis 1955 war sie Mitglied des Niedersächsischen Landtags. Am 27. Mai 1959 wurde sie Oberbürgermeisterin der Stadt Braunschweig und hatte das Amt bis zum 21. Oktober 1964 inne. Sie starb 1966 in BS.
Dr. Latzel verweist auch auf das Buch von Eckhard Schimpf. Er stellt die Frage, ob das Kriegsende als Befreiung empfunden wurde. Er verweist auf die Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft, auf die Soldaten, die sowohl Opfer als auch Täter waren, auf Menschen wie Erna Wazinski,die aus nichtigen Gründen bis in die letzten Tage des Krieges hinein noch von den Nazis hingerichtet wurden...
Zusammenfassend stellt er fest, dass es sehr widersprüchliche Erfahrungen des Kriegsendes gab. Es war ein Tag der Niederlage Nazideutschlands, das von vielen Bürgern so empfunden wurde. Im Westen ging der Tag in die Geschichtsbücher als Tag der Kapitulation ein, im Osten als Tag der Befreiung. Bundespräsident Richard von Weizsäcker trat im Mai 1985 für den Tag der Befreiung ein: „Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ...“ Latzel kritisiert, dass in seiner Begründung der Nationalsozialismus als etwas Äußeres dem Volk gegenüber stand. Die Erfahrungen des Kriegsendes waren doch sehr widersprüchlich.
Für die Zukunft kann man nicht aus der Vergangenheit lernen, die Vorgänge wiederholen sich nicht. Genaues Hinsehen - Sensibilisieren – Blick schärfen – ist die Lehre aus der Geschichte. Beispiel: die Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze. Kohl versagt Auslandseinsätze mit der Begründung „wo die Wehrmacht agierte, kämpft keine Bundeswehr“. Schröder / Fischer ließen Auslandseinsätze zu mit der Begründung, aufgrund unserer Geschichte gegen Massenmorde vorzugehen, sie nicht zu dulden. Heute haben wir das Primat des Militärischen in der europäischen Politik. Außenminister Steinmeier setzt auf den Aktionsplan zivile Krisenprävention. Die Zahlen sprechen für sich: 150 Millionen € für die Zivile Friedensprävention und 32 Milliarden € für die Rüstung, das sind 0,5% des Militäretats für Friedensdienste.Außerdem alarmierend: Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin wird das Raketenabwehrprogramm MEADS kaufen und damit zum Wettrüsten beitragen.
Elke Almut Dieter