Vortrag von Gabriele Canstein am 24.10.2013
Für das Braunschweiger Friedenszentrum sprach Gabriele Canstein, Germanistin und Politologin aus Braunschweig, am 24.10. in der VHS über den Expressionismus in der Lyrik. Den Rahmen bildeten die Vortragsreihe WEGE ZU EINER KULTUR DES FRIEDENS und das Projekt des Friedenszentrums zu „Aufstieg und Niedergang 1913“.
Letzteres soll einen Kontrast zum Programm der Stadt „Monarchie und Moderne – Braunschweig 1913“ anbieten. Deshalb war an diesem Tag neben dem Friedenszentrum auch der Arbeitskreis „AK Jetzt schlägt´s 13“ Mitveranstalter.
Den thematischen Hintergrund fasste Frau Gerlach, Vorstandsmitglied im Friedenszentrum, in ihrer Einführung zusammen. Zudem erwähnte sie die Veröffentlichung einer selbst recherchierten und produzierten Broschüre des Friedenszentrums, die die Arbeiter- und Friedensbewegung um das Jahr 1913 beschreibt. Diese kostet 6 Euro und kann beim Friedenszentrum erworben werden (www.friedenszentrum.info).
Ihren Fokus legte Frau Canstein auf den Frühexpressionismus, der bis 1913 eingeordnet wird. Die Hochphase des Expressionismus dauerte von 1910-1925 und zeigte sich in der Bildenden Kunst, der Musik und der Lyrik. In dieser Zeit sorgten Industrialisierung und der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung zu starken Binnenwanderungen. Die Großstädte wuchsen in dieser Epoche enorm. Kultur und Werte waren mehrheitlich konservativ geprägt.
Trotzdem wurden Reformforderungen immer lauter und der Expressionismus war eine Sammelbewegung, die die bestehende Gesellschaftsordnung vollkommen abschaffen wollte, um einen neuen menschlichen Geist zu kreieren. Einigen war dazu sogar das Mittel des Krieges recht.
Einige zeitgenössische Künstler des Expressionismus sahen in ihm eine Art Reinigung, die für die verkommene Gesellschaft notwendig sei. Grundsätzlich stand bei ihnen der „Mensch“ im Mittelpunkt, sie traten sehr selbstbewusst auf und nutzten oft „jugendliche“ Provokationen und Brüche mit den Traditionen als ihr Stilmittel. Trotz manchem Skandal, den einige auslösten, waren die Expressionisten eher Außenseiter in der literarischen Welt. Es gibt mit Else Lasker-Schüler nur eine deutsche weibliche Vertreterin im lyrischen Expressionismus. Gabriele Canstein trug ihr Gedicht „Versöhnung“ vor.
Auch „Schwermut“ von August Stramm, „Der Krieg“ von Georg Heym (siehe Foto) und „Weltende“ von Jakob van Hoddis wurden dargeboten. Als eine Kritik Bechers zu „Weltende“ vorgetragen wurde, die sehr euphorisch von dem Gedicht schwärmte, kam im Plenum etwas Verwunderung auf. Ist diese Kritik ernst zu nehmen oder ist sie ironisch gemeint? Das muss wohl – wie üblich in der Kunst – jeder für sich selbst entscheiden. Wir wollen dem Leser die Möglichkeit geben, dies selbst zu bewerten, und diesen Bericht mit den Zeilen von Hoddis schließen:
JAKOB VAN HODDIS – WELTENDE
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und es gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um die dicken Dämme zu zerdrücken
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Bericht von Daniel Gottschalk, Frieder Schöbel