Bericht zum Vortrag von Orhan Sat und Dr. Elke Schrage, am 7.11.2019 in der VHS in der Reihe "Wege zu einer Kultur des Friedens".


Am 7. November 2019 fand in der VHS eine Veranstaltung von Friedenszentrum und Friedensbündnis statt, in der die Situation der Kurden thematisiert wurde. Neben der Ärztin Dr. Elke Schrage, die das Kurdengebiet im Südosten der Türkei mehrfach bereist hat, referierte der Politologe Orhan Sat über die historischen Hintergründe. Rojava, führte er aus, sei eine Region und eine Idee, die im diametralen Gegensatz zum Nationalstaat stehe, wie er seit dem Ende des Osmanischen Reiches auch im Nahen Osten eingeführt worden sei. Er legte dar, wie die Kurden, ein uraltes Volk und zugleich die größte Minderheit Vorderasiens, durch die Willkür der Siegermächte im Ersten Weltkrieg (Sykes-Picot-Abkommen zwischen England und Frankreich 1916) auf vier Staaten verteilt wurden: Türkei, Syrien, Irak, Iran. Nirgends werden sie als gleichberechtigt behandelt, daher ist Widerstand ihre eigentliche Identität. In der Türkei werden sie als billige Arbeitskräfte ausgenützt; die Mehrzahl der Gefängnisinsassen sind Kurden. Zeitweilig war der Gebrauch der kurdischen Sprachen mit der Todesstrafe bedroht. Es gab seit der Republikgründung durch Atatürk (1923) zwei unumstößliche Gebote: türkisch und sunnitisch.

Zu Anfang von Erdogans Regierungszeit schien sich eine Verbesserung des Verhältnisses anzubahnen, doch mit dem Beginn des Syrienkrieges 2011 setzte die Repression wieder ein. Erdogan erstrebte die (sunnitische) Vormacht in der Region und führt Krieg gegen Assad. Angeblich um seine Grenze zu schützen, unternahm Erdogans mehrere Interventionen nach Nordsyrien, wo die dortigen Kurden eine kriegsfreie Zone ausgerufen hatten, die Republik Rojava, in der demokratische Prinzipien und Grundrechte (Gleichberechtigung der Frauen!) herrschen. Da Erdogan Einfluss auf das angrenzende südostanatolischen Kurdengebiet fürchtet, ordnet er die Invasion in Rojava an – wahrscheinlich nicht ohne Wissen und Billigung der USA und Russlands. Allerdings kamen ihm die Kurden zuvor, die sich der Armee Assads anschlossen, so dass Erdogan seine erhoffte Grenzregion mit russischen und syrischen Truppen teilen muss. Für die Idee „Rojava“, ein anti-neoliberales Gesellschaftsprojekt,  bedeutet dies das Ende.   
 

(Inge Gerlach)