Bericht der Veranstaltung am 15.04.2021 "Soziale, politische und wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Epidemie" – 
Zoomvortrag Prof. em. Dr. Heinz. J. Bontrup



 s. auch Mitschnitt des Zoom-Vortrages im Youtube-Kanal des Friedenszentrums


Prof. Bontrup nahm den Zuhörern alle Hoffnung, dass sich durch die lange Epidemie eine Veränderung in der neoliberalen Wirtschaftsform ergeben könnte. Der Kapitalismus sei zu robust. Er wird die Krise wegstecken und gestärkt daraus hervorgehen. Die sozialen Auswirkungen werden schlimmer sein als die der Weltwirtschaftskrise von 2007: steigende Arbeitslosigkeit, Verschuldung und eine zeitlich verzögerte Pleitewelle der kleinen Selbstständigen. In der Wirtschaft gibt es eine tiefe Strukturdifferenzierung. Von den 2,6 Mio. Unternehmen haben nur 80 000 mehr als 500 Beschäftigte. Die meisten sind Kleinbetriebe mit max. 20 Beschäftigten, daneben gibt es die vielen Solounternehmen ohne Angestellte. Sie sind alle von der Krise betroffen – man nennt sie Zombi-Unternehmen. Wenn die Insolvenzordnung nicht mehr ausgesetzt ist, wird es eine Pleitewelle geben mit einer Vernichtung von Existenzen und von Kapital mit katastrophalen Folgen.

Die heute schon bestehende Armutsquote von jetzt 16% der Bevölkerung wird auf mind. 18 % steigen. Schon jetzt lebt jedes 5. Kind in Armut. Die 2,7 Millionen Arbeitslose sind nur die registrierten, eine weitere Million Unterbeschäftigte gehören dazu. Die Arbeitslosigkeit wurde durch Gesetzesanpassung 19087 wegdefiniert! Es fehlen 4,2 Millionen Vollzeitarbeitsplätze, die Umwandlung in Teilzeit und die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze hat zugenommen. Die Epidemie wird ein gigantisches Prekariat hinterlassen.

Eine weitere Folge der Epidemie ist die Umverteilung: 1.4 Billionen € verlorene Arbeitsentgelte: Kurzarbeit, keine Gehaltssteigerungen in der Elektro- und Stahlindustrie, VW-Haustarife. Auch die Rente hängt daran: Nullrunde für Pensionäre und Rentner. – wobei es Deutschland noch gut geht im Vergleich zu den Ländern in Südeuropa. Das Konjunkturpaket der EU von 750 Millionen wurde auf Betreiben der AfD vorerst gestoppt. Es hängt von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab.

In der Wirtschafts-, Immobilien- und Bankenkrise von 2007/2009 musste der Staat eingreifen und den ausfallenden Konsum, die fehlende Nachfrage kompensieren. Das Geld in Höhe von 180 Milliarden hat er sich beim Kapitalmarkt, d.h. bei den Vermögenden der Welt, beschafft . Sie verleihen ihr Kapital für 3-4%, der Staat gibt es in die Wirtschaft, die Gewinne der Wirtschaft kommen wieder bei den Unternehmern an. Die Reichen profitieren von der Krise, sie werden noch reicher. Die Staatsanleihe impliziert eine Umverteilung. Die Notenbank muss das begleiten mit einem Leitzins bei Null, sogar mit einem Negativzins von 0,5 %. Die Vermögenden klagen über fehlende Anlagemöglichkeiten, da kommt die Krise gerade recht.

Die politischen Folgen des Horroszenarios in der Ökonomie in Deutschland und in dem Rest der Welt erst recht werden nicht ausbleiben: fehlende Exportüberschüsse für die Kosten des Sozialstaates, Austeritätspolitik. Die rechten Parteien bekommen Zulauf.


Alternativen: eine Staatsausgabenpolitik

Dazu gehört ein Paradigmenwechsel

1. zu einer sozialökologischen Wirtschaftspolitik (sozial und ökologisch gehören zusammen) - eine sozio-ökologische Wende
 
2. zu einer demokratischen Wirtschaft, die Diktatur des Unternehmers muss gebrochen werden, das Kapital bestimmt. Der Staat hängt an der Wirtschaft, ist von ihr abhängig und ein demokratischer Staat braucht eine demokratische Wirtschaft. Aber die Debatte um eine Wirtschaftsdemokratie hat noch nicht einmal begonnen.

3. kurzfristig zu einer anderen Steuerpolitik. Die Vermögenskonzentration verlangt eine Vermögenssteuer und zusätzlich eine einmalige Vermögensabgabe. Die ist in der Verfassung verbrieft und wurde nach dem 2. Weltkrieg schon einmal bezahlt. Herr Bontrup beklagt das Wählerverhalten des deutschen Michels, der Steuererhöhungen scheut und immer wieder Parteien wählt, die eine kapitalfreundliche Politik vertreten.

4. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen sieht Prof. Bontrup allerdings keine politischen Voraussetzungen. Er hält es für wirtschaftlich nicht machbar.

 

Der Vortrag als Audio

 


Literatur:


Heinz-J. Bontrup, Jürgen Daub (Hrsg.)
Digitalisierung und Technik - Fortschritt oder Fluch
PapyRossa Verlag Köln 2021
ISBN: 978-3-89438-742-6
350 Seiten, 22,00 Euro

Heinz-J. Bontrup, Ralf-M. Marquardt
Volkswirtschaftslehre aus orthodoxer und heterodoxer Sicht
De Gruyter Oldenbourg Verlag Berlin, München 2021
ISBN: 978-3-11-061918-8
1000 Seiten, 39,95 Euro

Heinz-J. Bontrup
Arbeit, Kapital und Staat, Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft
6. Aufl.
PapyRossa Verlag Köln 2021
ISBN: 978-3-89438-326-8
750 Seiten, Preis 36,00 Euro

Heinz-J. Bontrup
"Krise überwunden – Probleme aber nicht" in Online-Zeitung MAKROSKOP
https://makroskop.eu/13-2021/krise-ueberwunden-probleme-aber-nicht/

Šik, Ota:
Der dritte Weg.
Die marxistisch-leninistische Theorie und die moderne Industriegesellschaft.
Hamburg 1972 

 
Prof. Heinrich-Josef Borntrup, Jg.1953, 1996-2019 Hochschullehrer an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Zahlreiche Veröffentlichungen (s.o.)