Vortrag und Diskussion mit Natascha Strobl



Video zur Veranstaltung: https://youtu.be/rf4eMSuUZf8


"Fatalismus ist nichts für schlechte Zeiten" - Ein gelungener Beitrag von Natascha Strobl zur Neuen Rechten am 18.11.2021 in der VHS.
 - Das Video ist zunächst verfügbar bis Juni 2022 -
 

Es leidet keinen Zweifel: Die Neue Rechte ist spätestens seit 2015 eine fest etablierte ideologische und organisatorische Größe im politischen Spektrum Deutschlands: Sie ist fest verankert in der AfD, hat im "Institut für Staatspolitik" (Götz Kubitschek) einen "think tank", in der "Jungen Freiheit" ein relevantes Presseorgan, ist mit dem  "Antaios - Verlag" auf dem Buchmarkt präsent und mit u. a. den "Identitären" auch auf der Straße. - Grund genug also, sich mit dieser Strömung einmal genauer auseinanderzusetzen.
 
Auf unsere Bitte hin gab die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl einen ebenso umfassenden wie komprimierten Überblick über die Szene. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand dabei die Frage, welchen Stellenwert die Neue Rechte (u. a. in Deutschland) für die weitere ideologisch-politische Entwicklung im rechten Teil des politischen Spektrums (und nicht nur dort) hat bzw. haben könnte. - Thematisiert wurden insbesondere die Fragen nach Kontinuität und Brüchen im neurechten Denken (Bezug auf die "Konservative Revolution" der Weimarer Republik und die französische Nouvelle Droite), der Aufstieg der Neuen Rechten in der Bundesrepublik seit den 80er Jahren sowie der Durchbruch auf der parlamentarischen Ebene (AfD).
 
Die neue Qualität der Neuen Rechten sei darin zu sehen, dass sie eine Scharnierfunktion zwischen der extremen Rechten und traditonellen Konservativen einnehme; hier auch ihre Gefährlichkeit zu sehen sei, da sie einem Radikalisierungsschub aller politischen Kräfte in der rechten Hälfte des politischen Spektrums Vorschub leisten könne. - Zentral sei hier der Kampf um die ideologische Hegemonie mit dem Ziel einer durchgreifenden autoritären Formierung ser Gesellschaft.
 
Das Einfallstor für die neurechte Ideologie sei hier u. a. die tendenzielle Relativierung des Holocaust, indem z. B. deutsche Flüchtlingsschicksale nach dem 2. Weltkrieg den Deportationen der NS parallelisiert werden. -
 
Ebenso: Die bedenkenlose Verwertung ökologischer und friedenspolitischer Themen (z. B. die öffentlichkeitswirksame Zustimmung zum Atomwaffenverbotsantrag durch den inzwischen gestürzten ÖVP-Bundeskanzler in Österreich). In diesem Zusammenhang warnte sie ausdrücklich vor der Illusion, einen produktiven Diskurs mit diesen Kräften führen zu können, da dies einer Aufwertung solcher Kräfte gleichkomme.
 
Diese Gesichtspunkte wurden teilweise schon im Anschluss des Vortrages im Dialog mit dem virtuell und analog anwesenden Publikum entwickelt. Hier wurden flankierend wichtige weitere Gesichtspunkte deutlich. In diesem Zusammenhang wies Natascha Strobl ausdrücklich auf die Relevanz der sozioökonomischen Ebene hin: Auf die Tatsache, dass wir in einer nur rudimentär demokratischen Gesellschaft leben solange abseits des öffentlich-politischen Sektors im Bereich der Ökonomie keinerlei substanzielle gesamtgesellschaftliche Mitbestimmungsmechanismen existieren; in einem Bereich, in dem große Teile der Gesellschaft ihre existenziellen Erfahrungen machen, Anfälligkeiten für autoritäres - und damit (neu-)rechtes - Denken existieren, krisenbedingte  Ausdifferenzierungen im Bereich bestimmter Kapitalfraktionen zu entsprechender Bündnisbereitschaft führen könnte.
 
Am Ende stand aber doch ein "Trotz alledem": Jede Krise schaffe auch ihre Chancen für ein Mehr an Partizipation und Emanzipation, die Dynamik der Entwicklung gelte es zu nutzen, um diese Ziele durchzusetzen: Auf eine kurze Formel gebracht: "Fatalismus ist nichts für schlechte Zeiten."
 
Burkhard Jäger



Zum nachträglichen Zuhören und Anschauen des Abends hier unsere Videoaufzeichnung.

Buch:

Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus - Eine Analyse
Suhrkamp Verlag