Vortrag und Diskussion mit Andreas Zumach
Video zur Veranstaltung: https://youtu.be/eA034XI0Y1w
Die Veranstaltung am 21.10.2021 mit Adreas Zumach fand viel Interesse, was zum einen in dem sehr aktuellen Thema begründet ist, aber auch an der Tatsache, dass Zumach dafür bekannt ist, die Themen mit sehr viel Sachkenntnis zu behandeln. Seine freie Rede und seine profunden Kenntnisse machten den Abend interessant und lebendig. Über den Situationsbericht hinaus unterbreitete er Vorschläge, wie man aus dem politischen Patt herauskommen könnte.
Zum nachträglichen Zuhören und Anschauen des Abends hier unsere Videoaufzeichnung.
Zum Nachlesen unsere Zusammenfassung:
Andreas Zumach beginnt seinen Vortrag mit dem Hinweis auf die besondere Verantwortung für gedeihliche Beziehungen gegenüber Russland
- -begründet durch die hohen Opferzahlen der Russen und Ukrainer während des 2. Weltkrieges,
- begründet durch die Geschichte der Spannungen zwischen den historischen westlichen und östlichen Machtzentren auf dem eurasischen Kontinent
- begründet durch die aktuelle Bedrohungssituation durch die Aufrüstung und die Modernisierung der Atombombenarsenale, die Waffen noch tödlicher und unberechenbarer zu machen.
Unter Obama wurden 30 Milliarden für die sog. Modernisierung der Atomwaffen bereitgestellt, Trump sah eine Abschreckungslücke gegenüber Russland in seiner Glaubhaftigkeit und daher wollen die USA in Europa Mininukes stationieren. Für die EU-Mitgliedsstaaten ist Russland die Hauptbedrohung. Obwohl die NATO die konventionelle Unterlegenheit Russlands einräumt und damit das Bedrohungspotenzial gegenüber der EU vermindert sieht, wird sie mit Atomwaffen bestückte Tornados entlang der Grenzen fliegen lassen - als Antwort auf russische Bomber. Die NATO richtet sich an einer hybriden Kriegsführung der Russen aus, wobei die USA seit Jahren selbst eine hybride Kriegsführung mit erheblichen Eingriffen in andere Länder betrieben und betreiben.
Zumach bedauert die Geschichtsvergessenheit der politischen Parteien in Deutschland. Das verschlechterte Verhältnis zu Russland beginnt bei allen politischen Parteien im Frühjahr 2014, manchmal 2008 mit dem Eingreifen Russlands, als Georgien versuchte, die Kontrolle über Südossetien zurückzugewinnen.
Er verwies auf das politisch nicht mehr erinnerte Jahr 1990, auf das Ende des Kalten Krieges und die Hoffnung auf ein gemeinsames Haus Europa. Die große Hoffnung ist durch den Wortbruch, die Osterweiterung der NATO zerstört worden. Die Zusage der Nato, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, hatte am 2.2.1990 James Baker in Moskau Gorbatschow und Schewardnadse gegeben, was nicht verschriftlicht wurde. James Mettlock war dabei, hat es bezeugt, aufgeschrieben und veröffentlicht. Dass Kohl und Genscher die gleichen Zusagen gegeben hatten, kann Zumach als indirekter Zeuge bestätigen. Genscher flog unmittelbar nach den Verhandlungen mit Russland weiter nach Kanada zu den „Open-Skies-Vereinbarungen. Drei Journalisten durften mitfliegen, einer davon war Andreas Zumach. Genscher berichtete euphorisiert, was geschehen war und bestätigte die Zusage über die Nichtausbreitung der NATO nach Osten.
Im November 1990 war das letzte KSZE-Treffen in einem Theatersaal in Paris. Andreas Zumach - als Journalist damals dabei - berichtet, dass alle anwesenden Politiker*innen heilige Eide auf die KSZE schworen und Pläne für das gemeinsame Haus Europa machten bis hin zu einer KSZE–Eingreiftruppe. Man fühlte sich gut aufgehoben und für kurze Zeit gab es die Chance für einen langfristigen Frieden.
1995/96 begann die Osterweiterung. Russland unter Jelzin hatte Probleme mit den russischen Oligarchen. Mit getricksten Auktionen überließ Jelzin den Oligarchen die Filetstücke der russischen Wirtschaft, (1995 verscherbelte Jelzin den Jukoskonzern für 300 Millionen Dollar, obwohl der eigentliche Wert bei 40 Milliarden Dollar lag. Die Geldbarone finanzierten Jelzin im Gegenzug die Wiederwahl.) *Unter Jelzin folgten Chaosjahre, die russische Bevölkerung verarmte. Dann kam Putin und brachte die russische Wirtschaft wieder in die alte Ordnung, die Menschen konnten sich erholen. Sein innenpolitisches Ansehen ist darin gut begründet.
Anfang 2001 trat Putin im Bundestag auf und warb in seiner Rede für seine Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses. Er erhielt stehenden Applaus im Bundestag, aber eine politische Reaktion erfolgte nicht. In der bereits schärferen Rede Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2007 verwies er darauf, dass er sich das Recht zu handeln nimmt. Die Presse nahm ihn nicht ernst. Die Politik reagierte nicht.
Die Ukraine wollte in die EU aufgenommen werden, in Verhandlungen erreichte sie ein Assoziierungsabkommen, in dem die EU Bedingungen stellte, wie z. B. den Subventionsstopp für Grundnahrungsmittel, was sicher zu Aufständen geführt hätte. Das Abkommen verstieß gegen die Zollunion der Ukraine mit Russland, Janukowicz scheiterte an der Opposition und wurde abgesetzt. Die neue Regierung setzte Russisch als Amtssprache fest, schloss ein Abkommen mit Russland, das erlaubte, den Hafen auf der Krim zu kündigen. Es erfolgte der Einmarsch russischer Kräfte auf der Krim, und schließlich das von Putin angesetzte Referendum. „Zwei Tage nach dem Referendum, am 18. März 2014, unterzeichnete Putin und die Vertreter der Regionalregierung der Krim einen Vertrag über die Eingliederung der Krim in die russische Föderation. Nach der Ratifizierung des Beitrittsvertrages betrachtet Russland die Krim als Teil des eigenen Staatsgebiets."*(https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/287565)
Zumach betont, dass der Einmarsch völkerrechtswidrig, aber politisch vorhersehbar war. Die NATO hat daraus eine Gefahr für den Westen (Baltische Staaten und Polen…) gemacht und strafte Russland mit Sanktionen und einem Ausschluss aus allen internationalen Gremien.
Was müsste geschehen, um die Konflikte zu mindern
Auf militärisch politischer Ebene sind die NATO und die EU der Russ. Föderation haushoch überlegen. Daher stellt diese keine Gefahr für den Westen dar.
Die US-amerikanische Seite hat bestehende Kontrollverträge gekündigt: das Mittelstreckenabkommen, das Open Skies-Abkommen, das Rüstungskontrollabkommen, das Obergrenzen für Truppenstärken und Waffen vorsah. Stattdessen stehen NATO-Truppen an den Grenzen von Russland.
Die NATO ist in der Pflicht, als der Stärkere, der den ersten Schritt machen muss, auf Putin zuzugehen und zu handeln: ein Abkommen über Manöver, vor allem im Luftraum, wo sie außer Kontrolle geraten können, ein Abkommen über Manöver auf den Meeren (auch mit Eskalationsrisiko) und ein Rückzug der Truppen.
Cyberangriffe sind ein großes Thema. Die Nato führt Cyberwaffen als 5. Division und den Weltraum als 6. Division. Die Bedrohung ist gegenseitig. Zumachs Vorschlag: eine Liste von sensiblen Anlagen zu erstellen, die von Angriffen ausgenommen werden.
In der Krimfrage ist eine Lösung nur im einvernehmlichen Verfahren möglich. Sein Vorschlag: eine erneute Abstimmung auf der Krim, durchgeführt, überwacht durch die UNO- allerdings mit einer dritten Option, die Krim bleibt bei der Ukraine mit weitest gehender Autonomie, mit russischer Sprache, mit einer administrativen Autonomie, mit finanzieller Autonomie, der Möglichkeit eigene Steuern zu erheben.
Im Konflikt über Gaspreise für die Ukraine ist eine Zusage Russlands wichtig.
Die Ostseepipeline Nordstream II wird von den USA aus Konkurrenzgründen abgelehnt, auch von Frau Baerbock abgelehnt, weil damit die Abhängigkeit von Öl für die nächsten Jahre festgelegt wird. Das Fracking-Gas aus den USA als Alternative ist keine Lösung. Das Problem Russlands ist, die Abhängigkeit der Ökonomie von der Ausnutzung ihrer Rohstoffe. Sie brauchen eine Diversifizierung ihrer Ökonomie. Zumachs Vorschlag: Für eine Übergangszeit von 20 Jahren brauchen wir grünen Wasserstoff, das heißt grün hergestellt mit erneuerbaren Energien. Wir wären in der Lage, Russland die Technologie zur Verfügung zu stellen, damit Russland uns den grünen Wasserstoff durch die Ostseepipeline schicken kann. Alternativ können wir grünen Wasserstoff aus Russland beziehen, der dort mit Öl als Energiequelle aufbereitet wurde – auch durch die vorhandene Ostseepipeline. Diese Kooperation mit Russland wäre besser als Anlagen in Afrika zu bauen ( Desert Tech von Siemens, die am Geld scheiterten)
Sanktionen wurden 2014 nach der Annexion der Krim von USA und EU verhängt – ohne ein Placet der UNO. Ziel war es, die russische Politik zu verändern. Heute können wir feststellen: das Ziel ist nicht erreicht und wird auch nicht erreicht werden. Folgerichtig sollten die unwirksamen Maßnahme aufgegeben werden.
Eine Annäherung zwischen Russland und der EU kann auf zivilgesellschaftlich/ kultureller Ebene stattfinden. Sehr erfolgreich waren Versöhnungsinitiativen wie Gräber pflegen, Denkmäler errichten, aber auch Reisen, zivilgesellschaftlicher Austausch, russ. und dt. Sprachunterricht in Schulen. Das Negativ-Image von Putin färbt auf das Volk ab und lähmt eine Entwicklung zwischen den Völkern. Dem gilt es zu begegnen.
Wie bewegen wir uns in einer Sphäre, wo wir keine Beweise haben? z.B. bei den Angriffen auf Atomaufbereitungsanlagen im Iran. Alle Indizien deuten darauf hin, dass USA und Israel das getan haben. Aber es ist nicht zu beweisen. Das ist das Neue und auch bewusst so Gewollte. Die Unterminierung des Völkerrechts ist ein Problem. Mit historischen Ansprüchen den Anspruch auf ein Gebiet zu erheben, ist völlig abzulehnen. Das wäre das Öffnen der Büchse der Pandora Das von allen Staaten erarbeitete Völkerrecht muss gestärkt werden.
»» Ebenfalls zur Veranstaltung ein Bericht von Andreas Matthies im Braunschweig-Spiegel.