Der Politikwissenschaftler Michael Lüders war am 6.September als Referent zu Gast beim Friedensbündnis Goslar.
Inhaltliche Notizen zum Vortrag dazu von Elke Almut Dieter
Zur Presse:
Die Medien stehen im Gegensatz zu der gefühlten Wirklichkeit. Die Presse war als 4. Staatsmacht in der Demokratie eine wichtige Kontrolle der Regierung. Heute bestimmt sie selber Politik. Ihre Leitlinien stehen im Interesse der Mächtigen, der Raum für Debatten wird immer kleiner“ jeder kann sagen, was er will, aber es ist nicht unbedingt karriereförderlich“. Früher gab es Kontroversen in der Gesellschaft, heute sind die Leitplanken eng gesetzt.
Dabei ist die Welt in Aufruhr
Die USA war seit 89/90 die einzige Weltmacht. Es ist eine Konstante der Geschichte, dass Imperien kommen und gehen“ stellte er fest und benannte Beispiele: das römische Reich, Spanien und Portugal, die zur See die Welt beherrschten, Frankreich und Groß Britannien, alle Imperien seien gesunken – das wird auch den USA und ihren europäischen Vasallen so ergehen. Die unipolare Welt wird von China und Russland herausgefordert. USA bleibt zwar noch eine führende Macht, ist aber nicht mehr unipolar. Die BRIGS-Staaten erstarken und verweigern der USA die Gefolgschaft. Der Krieg in der Ukraine hat zur Beschleunigung beigetragen, in kurzer Zeit gab es viele neue Anstöße. Und die USA verliert an Bedeutung: Der Irakkrieg war zu teuer für die USA und brachte großes Leid in den Irak: 1 Million Tote und hohe Sterblichkeit bis heute durch damaligen Einsatz der nuklear angereicherten Waffen. Die drauffolgende Wirtschafts- und Finanzkrise (2008) war auch schwer für die USA, ihr Ansehen ist gesunken.
Ukraine:
Lüders will keine Missverständnisse aufkommen lassen: Den völkerrechtswidrigen Angriff gilt es zu verurteilen. Aber er widerspricht dem vorherrschenden Narrativ, das segmentiert und die Wirklichkeit nicht näher beleuchtet. Er vergleicht den Ukrainekrieg mit dem Irakkrieg, der auch ein Angriffskrieg, ein US-geführter Angriffskrieg war. So betrachtet sei der Ukrainekrieg geradezu eine Kopie des amerikanischen Handelns. Der Wahrheit wird eine Propaganda unterlegt. Es ist ein Stellvertreterkrieg und die Ukraine ist das Schachbrett, sie sind die Bauern, die dafür bezahlen.
Der Krieg hat eine Vorgeschichte, sagt Lüders und verweist auf sein neues Buch „Moral über alles?“ Seit 1994 hat die USA die russischen Anrainerstaaten sukzessive in Richtung NATO geführt, die EU und die NATO gingen Hand in Hand. Die Russen haben massiv kritisiert, auf ihre rote Linie ausdrücklich hingewiesen, aber die NATO rückte immer näher. Auf dem NATO-Gipfel 2008 hat Putin klar gesagt, dass er das nicht akzeptiert. Verhandlungen über einen NATO-Beitritt der Ukraine seien für alle russischen Politiker eine rote Linie gewesen.
Aus geopolitischen Gründen haben Länder an den Scharnierstellen der Macht keine Wahl, sich frei zu orientieren. Das Argument, jedes Land habe das Recht, frei zu wählen, hat es in der Praxis nicht gegeben. Man müsse sich nur einmal vorstellen, was passiere, wenn Mexiko ein Bündnis mit China einginge. Die Kuba-Krise hatte es deutlich bewiesen. Nach Lüders hätte der Krieg vermieden werden können, wenn der Westen die Ukraine nicht in die Nato holen wollte. Altbundeskanzler Schmidt sagte: „Ich kann Russland verstehen. Die Osterweiterung war ein großer Fehler“. Für die Ukrainer sei es ein Verteidigungskrieg, gleichzeitig ist es ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO…und die Ukraine ist das Schachbrett, sie sind die Bauern, die dafür bezahlen. Die Vorstellung, man könne keine Verhandlungen führen ist falsch. (Beispiel Gefangenenaustausch, verhandelt mit Hilfe der Türkei)
Sanktionen
Der Krieg war der Weichensteller für Sanktionen gegen Russland. Ziel ist es, Russland das Geld für einen Krieg zu nehmen, tatsächlich um die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen und einen Regimewechsel in Russland zu erreichen. Aus moralischen Gründen. Wir sind die Guten! Welche Anmaßung!
Sanktionen gegen Widersacher zu verhängen, hat nie funktioniert. Es gibt kein Beispiel dafür, dass es dadurch zu einer genehmeren Politik gekommen wäre. Lüders: “ Es war der größte Fehler, den die Bundesregierung gemacht hat, dass sie die Energiepartnerschaft mit Russland von jetzt auf gleich beendet hat.“ Russland hatte daraufhin Importe aus dem Westen untersagt, ein Modernisierungsprogramm der Wirtschaft durchgeführt und exportiert jetzt umso mehr. Der Boykott der Erdgas- und Ölexporte schadet Russland weniger als den Deutschen. Deutschland hat 60 Jahre lang billige Energie aus Russland bekommen, das hat der Industrie geholfen. Große Firmen wie BASF hatten eine eigene Zuleitung aus Russland. Wer hat den Hahn zugedreht? Russland oder wir? Gas und Öl kommt auch weiterhin von Russland nach Europa und nach Deutschland. ... auf Umwegen über Indien, Ägypten und Saudi Arabien – allerdings zum 10fachen Preis. Das russische Wirtschaftswachstum stieg um 8%, das deutsche Wirtschaftswachstum fiel um 2%. Deutschland hat sich zum Juniorpartner der USA gemacht. Dadurch sei das Land zum Bittsteller geworden, wenn es um Energie geht.
Lieferverträge sind langfristig, die neu ausgehandelten gelten für 26/27. Bis dahin bezahlen wir Spotmarktpreise. Welche Option gibt es für Deutschland? Erneuerbare Energien? Der Ausbau der technischen Voraussetzungen dauert 10 bis 15 Jahre. Die grüne Energie braucht extrem viel Energie, bei der Biomasse sind die Speicherkapazitäten problematisch. Auch die LNG-terminals (Flüssiggas aus den USA, R, Norwegen) werden sich nicht rechnen. Flüssiggas ist die teuerste Form der Energieherstellung, die Subventionskosten sind hoch – aber der Steuerzahler wird die Differenz übernehmen. Die ostdeutsche Raffinerie in Schwedt ist pleite, das Erdöl kommt aus Kasachstan über eine russische Pipeline.
Sondervermögen ist der Orwellsche Begriff für Staatsverschuldung.
Die Sondervermögen sind nicht gedeckt, nicht im Staatshaushalt erfasst. Parallel zum Staatshaushalt gibt es Schulden von 500-600 Milliarden Euro. Die Inflation kommt dem Staat eben ganz recht, das reduziert die Zinsen. Immerhin zahlt auch der Staat dafür 4%, 5 % oder 6%. Lüders sieht das Kürzen von staatlichen Leistungen auf Kosten der Bürger als Folge voraus.
Die Inflation ist hoch, die großen Firmen können die Energiekosten nicht mehr zahlen, BASF, VW werden entlassen …>Arbeitslosigkeit in der Industriebranche. Nutznießer ist die USA, sie liefert Fracking Gas, NordStream 2 wird gekappt, ein richtiger Anschlag und die deutsche Regierung untersucht das nicht, will das nicht aufdecken. Statt dessen Geschichten um ein Segelboot ….
Neben der Ukraine gibt es das Spannungsfeld Taiwan. Die US Amerikaner haben Taiwan auf ihre Agenda gesetzt, US-Schiffe machen schon Patrouillen im chinesischen Meer. Die USA verlangt von ihrem Vasallen Deutschland, den Handel mit China zu reduzieren. Wir werden von den USA instrumentalisiert. Lüders sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet. Als Exportland braucht man Handel! Die Chemie wird ihre Industrie auslagern, dabei ist sie wichtig für die Volkswirtschaft, wir werden wieder noch abhängiger vom Ausland. Stahl aus Indien braucht Deutschland schon heute für die Panzer, für die Rüstungsindustrie. Viele Lichter werden ausgehen. Die Atomkraftwerke wurden abgeschaltet, der Kohleimport aus Russland ist um 40% gestiegen. (Wegen ausbleibender Gaslieferungen aus Russland hat Deutschland im vergangenen Jahr acht Prozent mehr Steinkohle importiert als im Vorjahr, insgesamt 44,4 Millionen Tonnen. Wichtigster Lieferant war demnach noch Russland mit 13 Millionen Tonnen, wie eine Auswertung des Vereins der Kohlenimporteure (VDKI) ergab, über die die Bild berichtete. Die Kohleimporte aus Russland gingen demnach jedoch um 37 Prozent zurück, zumal die Einfuhr russischer Kohle seit August wegen des Ukraine-Krieges verboten ist. (die Zeit))
Deutschland und der Westen geht in der Bedeutung zurück, die BRICS –Staaten sind jetzt schon wirtschaftlich stärker als die G7-Länder. Unser BIP heute nur noch 14,8%, 2030 wird es bei 10% liegen. Deutschland ist fast schon ein Bittsteller. Ein Land ohne Rohstoffe wie Deutschland ist auf Ex- und Importe angewiesen. Die Mittelschicht ist unter Druck. Gut und Böse spielt keine Rolle. Deutschland als Juniorpartner der USA hat wenig Chancen. Wir spielen die Guten, aber andere gestalten die Weltpolitik.
Der französische Präsident Macron handelt anders: er fährt mit einem Wirtschaftstross nach China und verhandelt auf Augenhöhe. Seine Meinung: Die EU braucht ein eigenes Machtzentrum. Anna Lena Baerbock fährt allein nach China und will sie belehren. Die Ampelpolitiker sind Atlantiker, Juniorpartner der USA. Ein Schönreden der Dinge hilft nicht. Die Rahmendaten müssen anders gesetzt werden: Das Interesse Deutschlands muss sein: zu deeskalieren im Ukrainekrieg, den Krieg zu beenden. Lüders ist überzeugt, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann. Wenn der Westen diesen Krieg verliert, ist der Westen am Ende. Deswegen muss man eine Entscheidung herbeiführen, die wie ein Sieg aussieht. Doch mit Putin reden? „Putin mag ein veritabler Verbrecher sein, aber man kann mit ihm reden.“ Scholz hat innerhalb von drei Tagen eingelenkt auf die Zeitenwende, hat Deutschland als Vermittler ausgebremst. Die Türkei wurde der Vermittler, hätte Deutschland sein können --- aber nur unabhängig von den USA. Ist es die Aufgabe der Europäer dienlich zu sein?
Problem: Es gibt keinen öffentlichen Diskurs, die Talkshow ist wichtiger als das Parlament. Werte basierte Politik, regelbasierte Wertorientierung meint die westliche Hegemonie weltweit durchsetzen zu können. Deutschland redet sich die Welt schön, für die USA ist Europa Verfügungsmasse. Lüders Vorschlag: Keine moralisierende Politik! Machtstrukturen bedenken.. Mit Frankreich eine Sicherheitsstruktur aufbauen…
Artikel zur Veranstaltung in der Goslarschen Zeitung